1 Normzweck
Rz. 1
Die Vorschrift will den Zugriff auf eine unpfändbare Sache ermöglichen, wenn der Schutzzweck des § 811 ZPO auch durch Bereitstellung einer geringwertigeren Ersatzsache erfüllt werden kann. Insofern wird also nicht der Wert der Sache, sondern die Verwendung der Sache selbst geschützt. Die Norm schöpft daher den Mehrwert einer unpfändbaren Sache zugunsten des Gläubigers ab.
2 Anwendungsbereich
Rz. 2
Die Regelung ist nur anzuwenden bei unpfändbaren Sachen gem. § 811 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 ZPO. Eine entsprechende Anwendung auf die anderen Tatbestände nach § 811 ZPO entfällt wegen der eindeutig enumerativen Aufzählung (h. M. Zöller/Herget, § 811a Rn. 2; MünchKomm/ZPO-Schilken, § 811a Rn. 2 m. w. N.). Ergibt sich daher die Unpfändbarkeit auch aus den Gründen nach § 811 Abs. 1 Nr. 2 bis 4, 7 bis 13 ZPO, so geht die Unpfändbarkeit vor. Demzufolge scheidet eine Austauschpfändung aus (a. A. OLG Köln, NJW-RR 1986, 488).
3 Möglichkeiten der Austauschpfändung
Rz. 3
Die Austauschpfändung ist auf drei Arten möglich:
3.1 Ersatzgegenstand
Rz. 4
Die Zulassung der Austauschpfändung ist möglich, wenn der Gläubiger dem Schuldner vor der Wegnahme der Sache ein Ersatzstück, das dem geschützten Verwendungszweck genügt, überlässt (Abs. 1, 1. Alt.). Das Ersatzstück muss aber hierbei nicht von gleicher Art sein (LG Deggendorf, Beschluss vom 7.3.2016, 13 T 36/16, Rn. 14 – juris; BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 171 = NJW-Spezial 2012, 41 = DGVZ 2011, 184 = JurBüro 2011, 547 = Rpfleger 2011, 620 = NJW-RR 2011, 1366 = MDR 2011, 1008 = WM 2011, 1477; OLG Hamm, JR 1954, 423; LG Göttingen, NdsRpfleger 1963, 82; OLG München, OLGZ 1983, 325). Hinzukommt bei einem unpfändbaren Kraftfahrzeug, dass das Ersatzstück eine annähernd gleiche Haltbarkeit und Lebensdauer wie das gepfändete Fahrzeug aufweist (BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 171 = NJW-Spezial 2012, 41 = DGVZ 2011, 184 = JurBüro 2011, 547 = Rpfleger 2011, 620 = NJW-RR 2011, 1366 = MDR 2011, 1008 = WM 2011, 1477). Eine Einschränkung, die zu einer unwirtschaftlichen bzw. unzeitgemäßen Lebenshaltung oder Arbeitsweise nötigt (Petroleumlampe statt elektrischer Beleuchtungskörper), kann dem Schuldner nicht zugemutet werden. Der Schuldner muss zwar eine Einbuße an Bequemlichkeit hinnehmen, der Betriebscharakter darf bei Nr. 5 und 6 jedoch nicht geändert, die Konkurrenzfähigkeit des Schuldners somit nicht ernstlich beeinträchtigt werden (Musielak/Becker, § 811a Rn. 2). So kann z. B. ein LCD-Fernseher gegen einen einfachen Röhrenfernseher ausgetauscht werden; ebenso eine goldene Armbanduhr gegen eine einfache Armbanduhr (OLG München, JurBüro 1983, 1418). Das Gericht setzt den Wert des vom Gläubiger angebotenen Ersatzstückes fest (Abs. 2 Satz 3).
3.2 Geldbetrag
Rz. 5
Der Gläubiger kann dem Schuldner auch den zur Beschaffung eines Ersatzstückes erforderlichen Geldbetrag überlassen (Abs. 1, 2. Alt.). Der dazu erforderliche Betrag wird vom Gericht festgesetzt (Abs. 2 Satz 3). Er zählt zu den – festsetzbaren – Vollstreckungskosten (Abs. 2 Satz 4, § 788 ZPO).
3.3 Geldbetrag aus Verwertungserlös
Rz. 6
Ist dem Gläubiger die rechtzeitige Ersatzbeschaffung nicht möglich oder nicht zuzumuten, so kann die Pfändung mit der Maßgabe zugelassen werden, dass dem Schuldner der zur Ersatzbeschaffung erforderliche Geldbetrag aus dem Vollstreckungserlös überlassen wird (Abs. 1, 3. Alt.). Eine Ersatzbeschaffung rechtzeitig vor der Pfändung ist dem Gläubiger wohl nur dann nicht möglich oder nicht zuzumuten, wenn er weit mehr auf die Vollstreckung angewiesen ist als der Schuldner auf den Gebrauch der Sache. Das ist vorstellbar bei einer Unterhaltsvollstreckung, auch bei Ansprüchen aus einer schwerwiegenden unerlaubten Handlung (Musielak/Becker, § 811a Rn. 4). Der Geldbetrag ist unpfändbar (§ 811a Abs. 3 ZPO; vgl. auch Rz. 12).
4 Zulassung der Austauschpfändung – Angemessenheit
Rz. 7
Gem. Abs. 1, 1. Halbs. muss die Austauschpfändung vom Vollstreckungsgericht zugelassen werden. Ein solcher Beschluss setzt zunächst die Angemessenheit der Austauschpfändung voraus (Abs. 2 Satz 2). Ist zu erwarten, dass der voraussichtliche Versteigerungserlös der Sache den Wert eines Ersatzstücks erheblich übersteigt, ist die Angemessenheit i. d. R. gegeben (LG Main, NJW-RR 1988, 1150). Insofern muss dem Gläubiger zumindest aus dem Mehrwert eine nennenswerte Befriedigung sicher sein. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Erlös für das Schuldnerfahrzeug in Höhe von 2.975 EUR erzielt werden könnte und ein Betrag von 2.500 EUR für die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges erforderlich wäre (LG Deggendorf, Beschluss v. 7.11.2016, 13 T 36/16 – Juris). Eine Zulassung ist darüber hinaus zu versagen, wenn das Interesse des Gläubigers insgesamt geringer wiegt als das des Schuldners, was immer dann der Fall ist, wenn der Schuldner auch noch weitere pfändbare Sachen besitzt, deren Verwertung die Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich sichert.
5 Verfahren
5.1 Antrag
Rz. 8
Es entscheidet (ausschließlich; §§ 764, 802 ZPO) das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger; § 20 Nr. 17 RpflG). Hierzu bedarf es eines Antrages des Gläubigers. Ein solcher kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Anwaltszwang besteht nicht (§ 78 ZP...