3.1 Allgemeines
Rz. 4
Ein weitgehendes Pfändungsverbot für Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden, birgt die Gefahr, dass der Schuldner Vermögenswerte dem Zugriff der Gläubiger dadurch entzieht, dass er wertvolle Tiere erwirbt, zu denen er keine engen emotionalen Beziehungen hat. In solchen Fällen besteht kein schutzwürdiges Interesse des Schuldners. Hierunter fallen z. B. Reitpferde, Rassehunde bzw. seltene Tierarten (vgl. BT-Drucks. 11/5463, S. 7). Zudem sind hierbei berechtigte Interessen des Gläubigers an der Durchsetzung seiner titulierten Forderung unverhältnismäßig vernachlässigt. Um die wechselseitigen Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits sowie die Belange des Tierschutzes in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, sieht Abs. 2 daher vor, dass in Ausnahmefällen das Vollstreckungsgericht die Pfändbarkeit eines in Abs. 1 bezeichneten Tieres wegen dessen hohen Wertes anordnen kann.
Rz. 5
Die vorzunehmende Interessenabwägung verlangt zunächst die eigene wirtschaftliche Situation des Gläubigers zu betrachten (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39). Umso weniger seine eigene wirtschaftliche Existenz gesichert ist, umso stärker überwiegen seine Belange. Ebenfalls spielt die Art der Schuld – etwa ein Anspruch aus unerlaubter Handlung bzw. Unterhalt – ebenso eine Rolle wie sonstige Vollstreckungs- und Verwertungsmöglichkeiten. Allerdings sind auch die Bindungen weiterer Familienangehöriger – z. B. alter und kranker Menschen oder Kinder – zu beachten.
Rz. 6
Bei den Belangen des Tierschutzes sind insb. folgende Fragen bedeutsam (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39):
- Welche Bindung hat das Tier an den Schuldner und dessen Familie?
- Welche besonderen Entfaltungsmöglichkeiten hat das Tier beim Schuldner, die nach einem Verkauf nicht mehr gegeben sind?
- Welches Alter hat das Tier (AG Paderborn, DGVZ 1996, 44: Keine Pfändung eines 20-jährigen Pferdes, das beim Schuldner sein "Gnadenbrot" erhält)?
- Welchen Gesundheitszustand hat das Tier?
- Welche Bedeutung hat das Tier für andere Tiere im häuslichen Bereich des Schuldners?
- Welche Verwertungsart kommt in Betracht (anderer häuslicher Bereich, Versuchslabor, Verwertung nach Tod)?
3.2 Voraussetzungen
3.2.1 Hoher Wert
Rz. 7
Der Wert des Tieres muss hoch sein. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 11/5463 S. 7) muss hier ein Wert von 500,00 DM (250 EUR; nach der bis 1990 gültigen Wertgrenze des § 811 Nr. 14 ZPO a. F.) beträchtlich überschritten werden.
3.2.2 Nicht zu rechtfertigende Härte für Gläubiger
Rz. 8
Ist der Wert des Tieres hoch, muss zusätzlich die Unpfändbarkeit eine unbillige Härte für den Gläubiger bedeuten, die durch die Belange des Tierschutzes und die Schuldnerinteressen am Tier bei Abwägung aller Umstände nicht zu rechtfertigen ist. Dies ist gegeben, bei hartnäckiger Zahlungsverweigerung eines Mieters auch wenn die wertvollen Haustiere (hier: Koi-Karpfen und Papageien) sein einziges pfändbares Vermögen darstellen (LG Berlin, Grundeigentum 2007, 721).
3.2.3 Antrag/Verfahren
Rz. 9
Es entscheidet (ausschließlich; §§ 764, 802 ZPO) das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger; § 20 Nr. 17 RpflG). Hierzu bedarf es eines Antrages des Gläubigers. Ein solcher kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Anwaltszwang besteht nicht (§ 78 ZPO). Dem Schuldner ist gem. Art 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren, bei fakultativer mündlicher Verhandlung (§ 764 Abs. 3 ZPO). Es gilt der Beibringungsgrundsatz. Insofern muss der Gläubiger seine anspruchsbegründenden Tatsachen bzgl. des Wertes des Tieres sowie Umstände, welche eine Härte für ihn darstellen, beweisen und darlegen. Glaubhaftmachung ist nicht ausreichend.
Das Vollstreckungsgericht entscheidet durch Beschluss, der zu begründen ist. Der Beschluss ist sowohl dem Gläubiger als auch dem Schuldner zuzustellen; bei Ablehnung erfolgt Zustellung nur an den Gläubiger.
3.2.4 Wirkungen des stattgebenden Beschlusses
Rz. 10
Bis zum Erlass des Beschlusses ist das Tier unpfändbar. Eine Vorwegpfändung gem. § 811d ZPO ist jedoch möglich (Zöller/Herget, § 811c Rn. 8). Die Zulassung der Pfändung wirkt nur für den Gläubiger, auf dessen Antrag hin die Pfändung zugelassen worden ist. Diese Wirkung tritt bereits mit Erlass und nicht erst mit Rechtskraft des Beschlusses ein. Andere Gläubiger müssen bei Anschlusspfändung (§ 826 ZPO) einen eigenen Antrag auf Zulassung stellen.