Rz. 34
Das Vorrecht des § 850d ZPO gilt mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter von § 850d Abs. 1 Satz 4 ZPO grundsätzlich zeitlich unbeschränkt (BAG, ZInsO 2013, 1214 = VuR 2013, 391 = NZA-RR 2013, 590 = GWR 2013, 256 = EzA-SD 2013, Nr. 12, 12 = ArbR 2013, 292 = FA 2013, 211 = ArbuR 2013, 325 = FamRZ 2014, 1104). Die Privilegierung ist somit temporär beschränkt. Die Norm regelt, dass wegen rückständiger Unterhaltsansprüche, die länger als ein Jahr vor dem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses fällig geworden sind, der Gläubiger die Bevorrechtigung nicht in Anspruch nehmen kann. Insoweit gelten dann die Freigrenzen nach § 850c ZPO. Das entspricht dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift. Denn für rückständigen Unterhalt, der wegen des Zeitablaufs nicht mehr dazu dienen kann, seinen aktuellen Unterhaltsbedarf zu befriedigen, bedarf der Unterhaltsgläubiger keiner vollstreckungsrechtlichen Privilegierung, weil dann die Gefahr nicht besteht, dass er wegen ausbleibender Zahlungen des Schuldners auf Sozialleistungen angewiesen ist (BGH, Vollstreckung effektiv 2009, 169 = FamRZ 2009, 1483 = MDR 2009, 1190 = FPR 2009, 477 = NJW-RR 2009, 1441 = JurBüro 2009, 549 = AGS 2009, 559 = FoVo 2009, 202 = NJW-Spezial 2009, 725 = FamRB 2009, 372 = ZFE 2010, 2 = FamFR 2009, 20; BGH, FamRZ 2005, 1564 = ZVI 2005, 404 = WM 2005, 1993 = Rpfleger 2005, 676 = MDR 2005, 1434 = Vollstreckung effektiv 2006, 5 = JurBüro 2005, 554). Daraus ergibt sich, dass nur der unterhaltsbedürftige Gläubiger bevorzugt Zugriff auf das Arbeitseinkommen des Unterhaltsschuldners nehmen kann.
Rz. 35
Maßgeblich für die Beurteilung der im Sinne der Regelung bestehenden Rückstände ist der Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Erlass eines Pfändungsbeschluss beim Gericht (KG, MDR 1986, 767). Hiervon besteht allerdings wiederum die Ausnahme, wenn sich der Unterhaltsschuldner seiner Zahlungspflicht bzgl. des rückständigen Unterhalts absichtlich entzogen hat. "Absichtlich entzogen" hat sich der Schuldner seiner Zahlungsverpflichtung schon dann, wenn er trotz bestehender Zahlungsmöglichkeit (Zahlungsfähigkeit) die ihm zur Verfügung stehenden Mittel für andere Zwecke als Unterhaltsleistungen verwendet und so die zeitnahe Realisierung der entstehenden Rückstände zumindest wesentlich erschwert (BAG, ZInsO 2013, 1214 = VuR 2013, 391 = NZA-RR 2013, 590 = GWR 2013, 256 = EzA-SD 2013, Nr. 12, 12 = ArbR 2013, 292 = FA 2013, 211 = ArbuR 2013, 325 = FamRZ 2014, 1104; BGH, Vollstreckung effektiv 2005, 62 = NJW-RR 2005, 718 = InVo 2005, 235; LG Konstanz, InVo 2004, 110; KG, MDR 1986, 767; a. A. OLG Köln, NJW-RR 1993, 1156) Dann gilt weiterhin die Bevorrechtigung nach § 850d Abs. 1 ZPO auch für diese überjährigen Rückstände. ). Dies gilt auch, wenn der Unterhalt der Höhe nach feststeht, es sei denn, bes. Umstände lasse die Unterhaltspflicht zweifelhaft erscheinen (KG, Rpfleger 1986, 394). Erfasst die erweiterte Pfändung wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche überjährige Rückstände, trägt der Schuldner bzw. oder Drittschuldner (BAG, ZInsO 2013, 1214 = VuR 2013, 391 = NZA-RR 2013, 590 = GWR 2013, 256 = EzA-SD 2013, Nr. 12, 12 = ArbR 2013, 292 = FA 2013, 211 = ArbuR 2013, 325 = FamRZ 2014, 1104)die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er sich seiner Zahlungspflicht nicht absichtlich entzogen hat (BGH, Vollstreckung effektiv 2005, 62 = NJW-RR 2005, 718 = InVo 2005, 235; LG Mühlhausen, 20.3.08 – 2 T 53/08 – juris; a. A. OLG Köln, NJW-RR 1993, 1156; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 1090; Musielak/Voit/Becker, § 850d Rn. 12; Zöller/Herget, § 850d Rn. 5). Im Zweifel muss er dies im Wege des Erinnerungsverfahrens darlegen, wenn das Gericht bzgl. der überjährigen Rückstände die Vollstreckungsprivilegierung anordnet. Problematisch ist für Gläubiger, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass das subjektive Element der Absicht entfallen soll, wenn der Schuldner der Auffassung gewesen ist, aus Rechtsgründen nicht zur Unterhaltszahlung verpflichtet zu sein (LG Braunschweig, JurBüro 1986, 1422). Solche Einwände gg. die Unterhaltspflicht lassen sich natürlich jederzeit konstruieren.