1 Zivilprozess und Zwangsvollstreckung
Rz. 1
Das Urteil entscheidet den Streit der Parteien über das Bestehen und die Höhe eines Anspruchs. Allein durch den gerichtlichen Ausspruch, der z. B. eine Leistungspflicht des Beklagten in einer bestimmten Höhe feststellt, erlangt der Kläger im Regelfall nicht die Leistung. Zahlt der Beklagte nicht freiwillig, dann bedarf es der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil. Zwangsvollstreckung ist das staatliche Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung oder Sicherung von Leistungs- und Haftungsansprüchen, die in einem zivilprozessualen Vollstreckungstitel "verbrieft" sind. Regelmäßig, aber nicht notwendig, geht der Zwangsvollstreckung das "Erkenntnisverfahren" voraus, denn nicht jedem Prozess folgt die Zwangsvollstreckung, entweder weil der Beklagte freiwillig leistet oder das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt (z. B. das Feststellungsurteil, § 256 ZPO) hat. Schließlich gibt es auch Vollstreckungstitel, die nicht das "Ergebnis eines Rechtsstreits" sind, wie z. B. vollstreckbare notarielle Urkunden und Kostenfestsetzungsbeschlüsse.
Rz. 2
Die Zwangsvollstreckung erfolgt ausschließlich durch staatliche Vollstreckungsorgane (Gewaltmonopol). Parteien des Verfahrens sind der Vollstreckungsgläubiger und der Vollstreckungsschuldner (die ZPO bezeichnet sie "lediglich" als Gläubiger und Schuldner). Dabei ist der Vollstreckungsgläubiger derjenige, dem der vollstreckbare Anspruch zusteht, und der Vollstreckungsschuldner derjenige, gegen den die Zwangsvollstreckung betrieben wird.
Rz. 3
(Vollstreckungs-)Gläubiger und (Vollstreckungs-)Schuldner müssen in dem Vollstreckungstitel so genau bezeichnet sein, dass ihre Identität zweifelsfrei festgestellt werden kann. Das ist vor allem beim Schuldner von großer Bedeutung: Kann er nicht eindeutig bestimmt werden, so ist der Titel nicht vollstreckungsfähig . Aber auch für den Gläubiger ist es wichtig: Nur die eindeutig als Gläubiger festgestellte Person kann zulässigerweise einen Antrag auf Einleitung der Zwangsvollstreckung stellen; nur dem Gläubiger steht der Vollstreckungsanspruch zu. Der Vollstreckungseingriff begründet zwischen dem Vollstreckungsgläubiger und dem -schuldner eine "gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art" (BGH, NJW 1985, 3080), die auch als Vollstreckungsverhältnis bezeichnet wird. Aus diesen Rechtsbeziehungen entstehen für den Vollstreckungsgläubiger Pflichten, deren Verletzung zu einem Anspruch nach den Grundsätzen über die positive Vertragsverletzung führen kann (vgl. BGH, a. a. O.).
Rz. 4
Außer Vollstreckungsgläubiger und -schuldner können auch noch weitere Personen am Verfahren der Zwangsvollstreckung beteiligt sein. Es sind dies Dritte, d. h. diejenigen Personen, die sich mit einem Antrag am Vollstreckungsverfahren beteiligen oder deren Rechte von demselben betroffen oder berührt sind, ohne dass sie (Vollstreckungs-)Gläubiger oder (Vollstreckungs-)Schuldner sind, beispielsweise bei der Pfändung eines Gegenstands, der sich im Gewahrsam eines Dritten befindet oder der gar einem Dritten gehört.
Rz. 5
Die Zwangsvollstreckung aus privatrechtlichen Titeln ist im Wesentlichen im Achten Buch der Zivilprozessordnung und, soweit es sich um Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte handelt, im Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG) geregelt. Die Zwangsvollstreckung aus öffentlich-rechtlichen Titeln (Leistungsbescheiden) ist in den Vollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder und in Sondergesetzen, z. B. der Justizbeitreibungsordnung (Vollstreckung von Ansprüchen der Justizbehörden) und der Abgabenordnung (Abgabenvollstreckung durch die Finanzbehörden), geregelt. Diese Regelungen haben die Vorschriften der Zivilprozessordnung teilweise übernommen, teilweise nehmen sie auch auf diese Bezug.
Rz. 6
Das Verfahren der Zwangsvollstreckung ist ein Teil des Zivilprozesses und damit auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Neben den Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung finden deshalb die Vorschriften des Ersten Buches (Allgemeine Vorschriften, §§ 1 bis 252 ZPO) sowie diejenigen des Zweiten Buches (Verfahren im ersten Rechtszug, §§ 253 bis 591 ZPO) der Zivilprozessordnung Anwendung. Insbesondere ist zu beachten, dass die Regelungen über
- die Parteien (§§ 50 bis 58 ZPO),
- Prozessbevollmächtigte und Beistände (§§ 78 bis 90 ZPO),
- Prozesskostenhilfe und Prozesskostenvorschuss (§§ 114 bis 127 ZPO),
- Sicherheitsleistung (§§ 108 bis 113 ZPO),
- die richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflichten, die aus der materiellen Prozessleitung des Richters folgen (§ 139 ZPO),
- und das Verfahren bei Zustellungen (§§ 166 bis 195 ZPO)
anwendbar sind. Ihre Anwendbarkeit ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als im Achten Buch eigene Regelungen getroffen sind und falls sie im Einzelfall dem Wesen und dem Zweck der Zwangsvollstreckung entgegenstehen.
2 Einzelzwangsvollstreckung und Gesamtzwangsvollstreckung
Rz. 7
Während die Zivilprozessordnung die Zwangsvollstreckung durch einzelne Gläubiger gegen den Schuldner, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet ist, regelt, findet die Gesamtvollstreckung im Ra...