Leitsatz
Soweit keine Vereinbarung entgegensteht, können die Wohnungseigentümer Regelungen des ordnungsgemäßen Gebrauchs durch Beschluss treffen. Eine Regelung ist dabei ordnungsgemäß, wenn sie im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer liegt, d.h. ein geordnetes und störungsfreies Zusammenleben der Wohnungseigentümer fördert und der Wahrung des Hausfriedens dient.
Normenkette
WEG §§ 13 Abs. 2, 14 Nr. 1, 15
Das Problem
Die Wohnungseigentümer fassen folgenden Beschluss:
Die WEG beschließt, dass dem Hausmeister oder seinem Stellvertreter die alleinige Befugnis übertragen wird, die Flurfenster zu kippen, wenn es witterungsbedingt angepasst ist. In der kalten Jahreszeit sollen die Flurfenster temperaturabhängig geschlossen bleiben.
Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Mit dem Beschluss werde ihm der Mitgebrauch am Fenster verweigert. Dies stelle sich als Entzug der Nutzung der gemeinschaftlichen Flurfenster dar, für den keine Beschlusskompetenz bestehe. Er wolle selbst entscheiden, wann gelüftet wird und bei Bedarf nicht auf den Hausmeister warten müssen. Denn im gemeinsamen Flur seien stark Essensdünste und Zigarettenqualm bemerkbar. Die Beklagten halten dem entgegen, der Hausmeister bzw. dessen Stellvertreter lüfteten regelmäßig. Das Fenster sei abschließbar, um sicherzustellen, dass die Flurfenster nicht unbeaufsichtigt offen stehen. Dies gebiete die Verkehrssicherungspflicht und diene der Vermeidung einer Auskühlung des Etagenflurs.
- Das Amtsgericht weist die Klage ab. K werde das Mitgebrauchsrecht am Flurfenster nicht gänzlich entzogen; der Beschluss sei nicht nichtig. Dagegen richtet sich die Berufung des K. Mit Erfolg!
Die Entscheidung
Allgemeine Grundsätze zu Gebrauchsbeschlüssen
Soweit – wie im Fall – keine Vereinbarung nach § 15 Abs. 1 WEG entgegenstehe, könnten die Wohnungseigentümer Regelungen des ordnungsgemäßen Gebrauchs durch Mehrheitsbeschluss treffen. Eine Regelung sei ordnungsgemäß, wenn sie im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer liege, d.h. ein geordnetes und störungsfreies Zusammenleben der Wohnungseigentümer fördere und der Wahrung des Hausfriedens diene. Die individuelle Handlungsfreiheit dürfe durch die Regelung nur so weit eingeschränkt werden, wie dies zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich sei. Eine Maßnahme liege im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer, wenn sie nach billigem Ermessen und bei objektiv vernünftiger Betrachtungsweise den konkreten Bedürfnissen der Wohnungseigentümer, den örtlichen und baulichen Besonderheiten der Wohnungseigentumsanlage sowie der Verkehrsauffassung entspreche. Durch Mehrheitsbeschluss dürfe ein nach § 14 Nr. 1 WEG zulässiger Gebrauch nicht verboten und ein über den Rahmen des § 14 Nr. 1 WEG hinausgehender Gebrauch nicht gestattet werden. Ein Mehrheitsbeschluss sei danach nur ordnungsgemäß, wenn er den nach § 14 Nr. 1 WEG zulässigen Gebrauch konkretisiere. Konkrete Kriterien mit Allgemeingültigkeit ließen sich für die Bestimmung der Ordnungsmäßigkeit allerdings nicht aufstellen. Unter mehreren möglichen Regelungen ordnungsgemäßen Gebrauchs stehe den Wohnungseigentümern ein nicht kleinlich zu bemessender Ermessensspielraum zu, so etwa bei Regelung gewisser Benutzungszeiten oder des Ausschlusses desselben bei gewissen klimatischen Bedingungen.
Anwendung der Grundsätze im Fall
- Der Inhalt des Beschlusses unterfalle nicht § 15 WEG. Die Regelung, dass dem Hausmeister oder seinem Stellvertreter die alleinige Befugnis übertragen werde, die Flurfenster zu kippen, sei keine Konkretisierung des Gebrauchs, sondern habe den vollständigen Ausschluss vom Mitgebrauch zum Gegenstand. Ein solcher Gebrauchsentzug sei keine Regelung des Gebrauchs nach § 15 WEG, weil diese den Mitgebrauch voraussetze; er ändere vielmehr § 13 Abs. 2 WEG ab. Der vollständige Gebrauchsentzug eines Gegenstandes des gemeinschaftlichen Eigentums sei einem Mehrheitsbeschluss aber nicht zugänglich; der Beschluss sei daher nichtig.
- Besondere Umstände, die einen vollständigen Ausschluss der Nutzung der Flurfenster rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Zwar gehe die Rechtsprechung davon aus, dass die Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung ausnahmsweise die Befugnis hätten, die Benutzung gemeinschaftlicher Räume unter besonderen Umständen stark zu beschränken oder gar auszuschließen. Dies allerdings nur dann, wenn die Gefahr von Manipulationen bzw. dem möglichen Eintritt von Schäden vorgebeugt werden solle. So liege es im Fall nicht. Das Argument, die Regelung sei notwendig, weil dies die Verkehrssicherungspflicht gebieten würde und der Vermeidung einer Auskühlung des Etagenflurs diene, verfange nicht. Denn selbst wenn die Kompetenz zur alleinigen Nutzung der Flurfenster dem Hausmeister und seinem Stellvertreter übertragen werde, könne naturgemäß nicht mit Sicherheit verhindert werden, dass hierdurch jemand in Gefahr geriete. Denn es sei nicht vorstellbar, dass die genannten Personen während der gesamten Lüftungsphase in der Nähe de...