Nach der Gesetzesformulierung in § 912 Abs. 1 BGB muss "bei der Errichtung eines Gebäudes" über die Grenze zum Nachbargrundstück gebaut worden sein. Zu einem Überbau kann es aber nicht nur bei der erstmaligen Errichtung eines Gebäudes kommen. Vielmehr gilt nach der Rechtsprechung als Überbau auch die Erweiterung eines bereits vorhandenen Gebäudes, wenn dabei erstmals über die Grenze gebaut wird.[1] Das gilt aber nicht für einen bloßen Anbau, der ohne Zerstörung besonderer wirtschaftlicher Werte wieder beseitigt werden kann.

Neigt sich die Grenzmauer eines Gebäudes erst nach seiner Errichtung über die Grenze, dann sind nach der Rechtsprechung die Überbauvorschriften der §§ 912 ff. BGB entsprechend anwendbar.[2] Dieser Fall hat durchaus praktische Bedeutung, weil bei geschlossener Bauweise im Falle des Abrisses des Nachbarhauses und seines Wiederaufbaus nicht die gesamte Baulücke genutzt werden kann, sondern die Abschlusswand zur geneigten Grenzmauer um den Umfang der Neigung zurückversetzt werden muss. Im zu entscheidenden Fall hatte die dadurch bedingte Minderfläche an Geschäfts- und Privaträumen rund 7 m² betragen, was einen entsprechend großen Nutzungsverlust zur Folge hatte.

Die Vergrößerung und Aufstockung eines vorhandenen Überbaus ist nicht schon deshalb zulässig, weil Sie den vorhandenen Überbau dulden müssen. Denn Ihre Duldungspflicht bezieht sich lediglich auf das Gebäude in dem Zustand, in dem es errichtet worden ist. Sie erstreckt sich dagegen nicht auf spätere Erweiterungen (in der Höhe oder Fläche) des vorhandenen Überbaus. Vielmehr richten sich die Rechtsfolgen eines weitergehenden Überbaus nach den gesetzlichen Vorschriften der §§ 912 ff. BGB.[3]

[2] So BGH, Urteil v. 4.4.1986, V ZR 17/85, NJW 1986, 2639.
[3] So BGH, Urteil v. 18.12.1970, V ZR 73/68, NJW 1971, 426; BGH, Urteil v. 11.4.1975, V ZR 165/73, NJW 1975, 1313.

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