Denken Sie daran, dass es nach der Gesetzeslage und der Rechtsprechung des BGH vier Fallgestaltungen des entschuldigten Überbaus gibt:
Regelfall des § 912 Abs. 1 BGB
Zum einen den normalen Überbau des § 912 Abs. 1 BGB, bei welchem der Bauherr ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit über die Grenze zum Nachbargrundstück hinüber baut und der Nachbar nicht vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.
Überbau im Bauwich
Der Überbau reicht zwar nicht über die Grundstücksgrenze in das Nachbargrundstück hinein, verletzt aber den Bauwich, der auf dem eigenen Grundstück zur Nachbargrenze hin eingehalten werden muss (vgl. hierzu oben Kap. 2.2.1). Auch hier erfolgt die Verletzung des Bauwichs weder vorsätzlich noch grob fahrlässig, ohne dass der Nachbar vor oder sofort nach der Bauwichverletzung Widerspruch erhebt.
Überbau einer Grunddienstbarkeit oder auf einer Sondernutzungsfläche
Des Weiteren der Überbau einer durch Grunddienstbarkeit für den Nachbarn gesicherten Fläche auf dem eigenen Grundstück bzw. der Überbau einer einem Sondernutzungsrecht unterliegenden Fläche eines gemeinschaftlichen Wohnungseigentumsgrundstücks (vgl. hierzu oben Kap. 2.2.1). Auch hier darf der Bauherr nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig handeln und der Grunddienstbarkeits- bzw. Sondernutzungsberechtigte muss es unterlassen haben, vor oder sofort nach der Grenzverletzung Widerspruch zu erheben.
Eigengrenzüberbau oder Überbau durch Grundstücksteilung
Schließlich der Eigengrenzüberbau und die Aufteilung eines einheitlichen Grundstücks mit einem nach der Grundstücksteilung auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehenden Gebäude (vgl. oben Nr. 2.2.1). Hier kann zwar begrifflich weder von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Bauherrn noch von fehlendem Widerspruch des Nachbarn gesprochen werden, weil sich das Grundstückseigentum in einer Hand befindet. Wegen der dem Normalfall gleichkommenden wirtschaftlichen Interessenlage (Erhaltung von Bausubstanz) wendet die Rechtsprechung gleichwohl die §§ 912ff. BGB auf diese Fallkonstellation entsprechend an (vgl. oben Kap. 2.2.1).
Rechtsfolge
Bei diesen Fallgestaltungen gilt: Der Überbau darf nicht entfernt, sondern muss (eventuell) gegen Zahlung einer Geldrente hingenommen werden (§§ 912 Abs. 1, 1004 Abs. 2 BGB).
3.1 Duldungspflicht
Liegen nach dem Gesetz oder den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen die Voraussetzungen für einen entschuldigten Überbau vor, so hat der Nachbar bzw. der Rechtsinhaber (bei Grunddienstbarkeit oder Sondernutzungsrecht) den Überbau zu dulden. Für den Nachbareigentümer handelt es sich um eine Beschränkung seines Eigentums, die mit dem Grundstückseigentum gemäß § 96 BGB untrennbar verbunden ist. Umgekehrt ist das Recht auf Duldung des Überbaus untrennbar mit dem Eigentum am sog. Stammgrundstück verbunden.
Die Duldungspflicht trifft den jeweiligen Eigentümer (Rechtsinhaber) des überbauten Grundstücks (der überbauten rechtlich gesicherten Fläche), auch beim Erwerb im Wege der Zwangsversteigerung. Die Duldungspflicht im Grundbuch ist nicht eintragbar.
Die Duldungspflicht erstreckt sich nur auf den Überbau in seiner bei der Grenzüberschreitung vorhandenen Form. Spätere Erweiterungen oder Aufstockungen müssen dagegen nicht geduldet werden (vgl. oben Kap. 2.1.3).
Umgekehrt hat der "überbaute" Nachbareigentümer keinen Anspruch dahingehend, dass der Überbau erhalten bleibt. Wenn deshalb der Eigentümer des sog. Stammgrundstücks im Rahmen einer Neubaumaßnahme den Überbau abreißt, kann dies der überbaute Nachbareigentümer nicht verhindern.
3.2 Eigentum am Überbau
Die Frage nach dem Eigentum am Überbau ist nicht nur von rein theoretischer Bedeutung. Denn von ihrer Beantwortung hängt es ab, wer den Überbau einerseits nutzen darf und wer andererseits die Lasten (etwa Erhaltungsaufwand) zu tragen hat.
Wer Eigentümer des über die Grenze gebauten Überbaus ist, regelt § 912 BGB nicht. Es gelten daher die allgemeinen Bestimmungen der §§ 93, 94, 95 und 946 BGB. Soweit der Eigentümer des Stammgrundstücks die Duldung seines Überbaus durch den Nachbarn verlangen kann, unterliegt der hinübergebaute Gebäudeteil nach der Rechtsprechung nicht der Grundregel der §§ 94 Abs. 1, 946 BGB (lotrechte Eigentumsteilung an der Grundstücksgrenze), sondern es tritt entsprechend § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB die Wirkung ein, dass er als Scheinbestandteil des überbauten Grundstücks gemäß den §§ 93, 94 Abs. 2 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleibt, von dem aus überbaut wurde und damit das Eigentum am Überbau dem Eigentümer des sog. Stammgrundstücks zusteht. Das gilt auch für den Eigengrenzüberbau und bei der Teilung eines einheitlichen Grundstücks in der Weise, dass die neue Grenze durch ein Gebäude verläuft.
Eigentumszuordnung
Die Eigentumszuordnung setzt voraus, dass es sich insgesamt um ein einheitliches Gebäude hande...