Kommentar
In dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs vom 8. Februar 1996 ging es um die Auslegung der Ortsbestimmung in Artikel 9 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie für Beförderungsleistungen. Der BFH hatte den EuGH gefragt, ob nach dieser Vorschrift bei grenzüberschreitenden Personenbeförderungen das Entgelt für die Leistung entsprechend der Bestimmung des Orts dieser Beförderung nach dem Anteil im Inland bzw. im Ausland zurückgelegter Strecken ermittelt werden muß. Hieran schloß sich die Frage an, ob das Entgelt alternativ auch nach den Kosten der Beförderungsleistung aufgeteilt werden könne, so daß z.B. auch Stand- und Wartezeiten des Beförderungsmittels zu berücksichtigen seien.
Im Streitfall wurden Busreisen veranstaltet, bei denen die Reiseteilnehmer zu einem Pauschalpreis Anspruch auf Beförderung, Unterkunft, Verpflegung, Reiseleitung usw. hatten. Die Beförderung wurde mit unternehmenseigenen Reisebussen erbracht. Der Kläger war der Meinung, eine Personenbeförderung mit einem Reiseprogramm sei anders zu beurteilen als ein Warentransport. Die Beförderung in Reisebussen könne nicht ausschließlich nach Maßgabe der zurückgelegten Strecken bemessen werden, es sei vielmehr weiter nach Art und Weise des Befahrens der Strecken zu differenzieren. Bei Auslandsreisen mit Programm werde in der Regel im Inland in kurzer Zeit eine längere Strecke (auf der Autobahn) zurückgelegt, während im Ausland die Aufenthaltsdauer im Vergleich zu der zurückgelegten Strecke von ungleich größerem Gewicht sei. In die Bewertung des inländischen bzw. ausländischen Leistungsteils müßten deshalb neben den fahrstreckenabhängigen Kosten auch die fahrstreckenunabhängigen Kosten nach Zeitanteilen eingehen.
Nach der EuGH-Entscheidung bewirkt die Ortsregelung nach Artikel 9 Abs.2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie für Beförderungsleistungen zwangsläufig, daß die Aufteilung des Entgelts bei grenzüberschreitenden Beförderungsleistungen nach der in dem jeweiligen Staat zurückgelegten Beförderungsstrecke aufzuteilen ist und daß eine Aufteilung nach anderen Kriterien (z.B. Kosten) damit nicht in Betracht kommt.
Mit dieser Entscheidung hat der EuGH die Auffassung der Bundesregierung bzw. die Regelung nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht ( § 3 b UStG , Abschnitt 42 a Abs. 3 – 5 UStR) bestätigt, daß die Ortsregelung des Artikels 9 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie gleichzeitig auch den Aufteilungsmaßstab für die Gesamtgegenleistung, d.h. den im jeweiligen Mitgliedstaat der Besteuerung unterliegenden bzw. den nichtsteuerbaren Teil einer Personenbeförderung zwingend vorgibt. Zutreffend stellt der EuGH fest, daß eine Aufteilung nach anderen Kriterien als der zurückgelegten Strecke zu Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten führen würde, die Artikel 9 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie gerade verhindern wolle.
Artikel 9 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie geht davon aus, daß bei einer Personenbeförderung das Besteuerungsrecht partiell mehreren Mitgliedstaaten zustehen kann. Da sich diese Staaten jedoch nur eine Besteuerungsgrundlage (den Reisepreis) aufteilen können, muß zur Vermeidung eines unversteuerten Letztverbrauchs bzw. einer Doppelbesteuerung in allen Mitgliedstaaten die Gegenleistung nach derselben Methode aufgeteilt werden. Dies stellt sicher, daß die Summe der den einzelnen Staaten zustehenden anteiligen Besteuerungsgrundlagen mit der Summe identisch ist, die sich ergäbe, wenn diese Staaten unter gleichen Bedingungen zusammen ein Steuergläubiger wären. Der EuGH weist richtig daraufhin, daß bei unterschiedlichen Ermittlungsmethoden in den einzelnen Mitgliedstaaten die Gefahr eines Gestaltungsmißbrauchs bestünde.
Bemerkenswert an dem Urteil ist, daß sich der EuGH über die Auffassung des Generalanwalts und der Europäischen Kommission hinweggesetzt hat und die deutsche Rechtslage bestätigt. Der Generalanwalt und die Europäische Kommission waren gemeinsam der Auffassung gewesen, das Entgelt sei im Verhältnis zu den gesamten Kosten der Beförderung innerhalb der jeweiligen Mitgliedstaaten aufzuteilen. Diese Gesamtkosten schlössen sowohl die streckenabhängigen als auch die Kostenansätze ein, deren Höhe von der Dauer und Kontinuität der Beförderungsleistung abhänge, einschließlich der Aufenthalts- und Wartezeiten zwischen den einzelnen Beförderungsteilen. Hätte der EuGH in diesem Sinne entschieden, hätte sich – abgesehen von der Gefahr möglicher Doppel- oder Nichtbesteuerungen – bei den beteiligten Unternehmen und bei der Finanzverwaltung ein erheblich höherer Aufwand für die zutreffende Aufteilung der Entgelte ergeben.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 06.11.1997, C-116/96