Im Vordergrund der Rechtsbeziehungen der Nachbarn steht die Frage nach den Eigentumsverhältnissen an der Nachbarwand. Diese Frage hat durchaus praktische Bedeutung, weil die Eigentumszuordnung entscheidend dafür ist, in welchem Umfang die Nachbarn gemeinsam oder allein die Nachbarwand einerseits nutzen und andererseits die Kosten für ihre Unterhaltung zu tragen haben. Dabei ist zwischen der Rechtslage vor dem Anbau, nach dem Anbau und nach dem Abriss eines der an die Nachbarwand angebauten Bauwerke zu differenzieren.

Die Eigentumsverhältnisse an der Nachbarwand sind in den Nachbarrechtsgesetzen nicht geregelt, weil den Bundesländern hierzu die Gesetzgebungskompetenz fehlt. Maßgeblich sind vielmehr die sachenrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und hier vor allem die §§ 93 bis 95 BGB.

2.2.1 Rechtsbeziehungen der Nachbarn vor dem Anbau

Bis zum Anbau des zweiten Gebäudes steht die Nachbarwand nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen im Alleineigentum des die Grenze überbauenden Eigentümers.[1] Denn soweit das Recht des Eigentümers zur Duldung seines Überbaus durch den Nachbarn reicht, unterliegt die hinübergebaute Nachbarwand nicht der Grundregel der §§ 94 Abs. 1, 946 BGB (Einheit von Grundstück und darüber befindlichen Bauteilen), sondern es tritt entsprechend § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB die Wirkung ein, dass sie als Scheinbestandteil des überbauten Grundstücks gemäß §§ 93, 94 Abs. 2 BGB wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleibt, von dem aus überbaut wurde.[2]

Da der Erbauer der halbscheidigen Mauer deren Alleineigentümer ist, hat er allein nicht nur die Kosten ihrer Errichtung, sondern auch die ihrer Unterhaltung zu tragen.[3] Auch ist nur er allein zur Nutzung der Mauer, beispielsweise ihrer Außenfläche zu Werbezwecken, berechtigt.

Eine Überbaurente im Sinne des § 912 Abs. 2 BGB als Entschädigung für den Überbau kann der Nachbar, der dem Überbau zugestimmt oder ihn genehmigt hat, nur dann verlangen, wenn sie ihm vertraglich zugesagt worden ist. Ebenso wenig hat er mangels einer ausdrücklichen vertraglichen Regelung ein Recht auf Grundabnahme gemäß § 915 BGB.[4] Er hat aber ein Recht zum jederzeitigen Anbau, da er seine Zustimmung zum Überbau unter der Bedingung erteilt hat, anbauen zu dürfen.

Bis zum Anbau durch den Nachbarn hat der Erbauer der Nachbarwand, da er ihr Alleineigentümer ist, grundsätzlich auch das Recht, sie gegen Entschädigung des Nachbarn für die Inanspruchnahme seines Grundstücks (§ 812 BGB) ganz oder teilweise wieder zu beseitigen. Soweit die Landesnachbarrechtsgesetze Bestimmungen über die Beseitigung einer Nachbarwand vor dem Anbau enthalten, sind diese zu berücksichtigen.

[1] Vgl. BGH, Urteil v. 19.11.1971, V ZR 100/69, NJW 1972, 195; BGH, Urteil v. 22.2.1974, V ZR 103/73, NJW 1974, 794.
[3] Eine Beteiligung des Nachbarn an den Herstellungs- und Unterhaltungskosten entsteht erst mit dem Anbau. In diesem Sinne haben auch die Nachbarrechtsgesetze der Bundesländer die Pflicht zur Kostentragung geregelt.
[4] Vgl. auch BGH, Urteil v. 10.10.1969, V ZR 131/66, NJW 1970, 97.

2.2.2 Rechtsbeziehungen der Nachbarn nach dem Anbau

Ein Anbau liegt dann vor, wenn die halbscheidige Mauer technisch-funktional als Bestandteil des angebauten Gebäudes in dieses dergestalt einbezogen wird, dass sie beispielsweise durch Auflegen oder Einlassen von Tragebalken dessen Abschlusswand bildet oder einer selbst nicht standsicheren Abschlusswand des angebauten Gebäudes erst die nötige Standsicherheit verschafft. Eine selbstständige Mauer neben der halbscheidigen Mauer, die für sich allein und ohne Anlehnung an die halbscheidige Mauer standsicher ist, ist hingegen kein Anbau.[1]

Mit dem Anbau ändern sich die Eigentumsverhältnisse. Die Nachbarwand wird durch ihre bautechnische Einbeziehung in das Bauwerk des Nachbarn wesentlicher Bestandteil der angebauten baulichen Anlage. Damit entsteht ideelles Miteigentum nach Bruchteilen.[2] Wird die Nachbarwand voll zum Anbau benutzt, entsteht Miteigentum je zur Hälfte. Bei nicht voller Inanspruchnahme der Wand für den Anbau richtet sich die Quote des Miteigentums nach dem Verhältnis des Flächenmaßes des zum Anbau benutzten Teils der Nachbarwand zur Gesamtfläche dieser Wand.[3] Dabei vollzieht sich die Änderung der Eigentumsverhältnisse in dem Zeitpunkt, in welchem der Neubau im Rohbau fertig gestellt ist.[4]

Erstattung des anteiligen Verkehrswerts

Mit der Fertigstellung des Anbaus im Rohbau entsteht – wie schon gesagt – ideelles Miteigentum der beiden Grundstücksnachbarn an der halbscheidigen Mauer. Der bisherige alleinige Mauereigentümer verliert damit sein Alleineigentum in dem Umfang an seinen Nachbarn, in dem dieser die Gesamtfläche der halbscheidigen Mauer durch seinen Anbau nutzt und dieser gewinnt anteiliges Eigentum an der Mauer. Daraus folgt aus Bereicherungsgrundsätzen (§§ 951, 812, 818 Abs. 2 BGB), dass der Nachbar den anteiligen Verkehrswert der halbscheidigen Mauer ihrem Erbauer erstatten muss, den diese im Zeitpunkt des Anbaus hat.[5] Fällig wird der Anspruch in dem Zeitpunkt, in dem ...

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