Prof. Dr. Dimitrios Stamatiadis, Prof. Dr. Spyros Tsantinis
I. Trennung
1. Voraussetzungen
Rz. 43
Im griechischen Recht ist die Trennung von Tisch und Bett (separatio quodam mensam et torum) nicht bekannt. Demzufolge können die Ehegatten ihre Ehe entweder aufrechterhalten oder sich scheiden lassen. Das Getrenntleben der Ehegatten wird in Art. 1391–1395 ZGB geregelt. Diese Vorschriften enthalten jedoch keine gesetzlichen Bestimmungen des Begriffs "Getrenntleben". Sie beziehen sich auf die Rechtsfolgen der getrennt lebenden Ehegatten. Das Getrenntleben ist unabhängig davon, ob die Eheleute sich scheiden lassen wollen oder nicht; allerdings bildet es oft eine Vorstufe zur Scheidung. Nach h.M. leben die Ehegatten getrennt, wenn mindestens einer von ihnen die eheliche Lebensgemeinschaft erkennbar ablehnt. Das entscheidende Element ist also die Trennungsabsicht und nicht bloß die räumliche Trennung. Demnach besteht keine häusliche Gemeinschaft, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben und allein aus wirtschaftlichen Gründen im selben Haushalt bleiben. Im Gegensatz dazu leben die Ehegatten nicht getrennt, wenn sie die eheliche Wohnung vorübergehend nicht teilen, weil z.B. ein Ehegatte studiert oder im Ausland arbeitet.
2. Rechtsfolgen
Rz. 44
Das Getrenntleben wird als eine unwiderlegbare Vermutung der ehelichen Zerrüttung und daher als selbstständiger Scheidungsgrund betrachtet. In Art. 1391–1395 ZGB werden einige Rechtsfolgen des Getrenntlebens erwähnt, insbesondere:
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Anstatt Familienunterhalt (Art. 1390 Abs. 1 ZGB) wird bei Getrenntleben Unterhalt geschuldet, der in Geld und monatlich im Voraus gezahlt werden muss (Art. 1391 Abs. 1 ZGB). Die Bestimmungen des Art. 1494 ZGB (Änderung der Unterhaltsbedingungen) und der Art. 1498–1500 ZGB (Unterhalt für die Vergangenheit, Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft, Erlöschen des Unterhaltsanspruchs) werden auf den Unterhalt zwischen den Ehegatten analog angewandt. Darüber hinaus findet Art. 1495 ZGB (verminderter Unterhalt) analoge Anwendung, wenn ein stichhaltiger Scheidungsgrund vorliegt, der auf Verschulden des berechtigten Ehegatten zurückzuführen ist. Die Behauptung eines solchen Scheidungsgrundes stellt eine Einrede des Verpflichteten dar. Ihre Annahme durch das Gericht führt zur Zahlung nur eines absolut notwendigen Mindestunterhalts für den Berechtigten. |
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Es findet eine gerichtliche Regelung der Benutzung der Familienwohnung statt, sofern Billigkeitsgründe angesichts der besonderen Umstände eines jeden Ehegatten und des Wohls der Kinder dies erfordern (Art. 1393 Abs. 1 ZGB). |
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Der Hausrat wird zwischen den Ehegatten aufgeteilt (Art. 1394 ZGB). Falls sich die Ehegatten nicht einigen, erfolgt die Aufteilung durch das Gericht (Art. 1395 ZGB). |
II. Scheidungsgründe
1. Streitige Scheidung
Rz. 45
Durch das Gesetz Nr. 1329/1983 wurde die Liberalisierung des griechischen Familienrechts verwirklicht. Als einziger Scheidungsgrund gilt nunmehr die starke Zerrüttung der Eheverhältnisse, und zwar unabhängig vom Verschulden eines der Ehegatten (Zerrüttungsprinzip, Art. 1439 ZGB). Ferner wird im neuen Recht die einverständliche Scheidung offiziell anerkannt (Art. 1441 ZGB). Die streitige Ehescheidung erfolgt nur durch ein unwiderrufliches Gerichtsurteil (Art. 1438 ZGB, Art. 613 ZPO). Die einvernehmliche Ehescheidung (siehe dazu näher Rdn 50) erfolgt nach dem durch das Gesetz Nr. 4509/2017 novellierten Art. 1441 ZGB durch das Einreichen eines von einem Notar bestätigten Scheidungsvertrags der Eheleute beim zuständigen Standesamt. Im geltenden Recht ist somit die einvernehmliche Ehescheidung ersichtlich vereinfacht worden. Im Scheidungsvertrag, der von den Rechtsanwälten der Eheleute beim Notar eingereicht wird, müssen ggf. auch Vereinbarungen über die Regelung der elterlichen Sorge und über den Unterhalt für die Kinder enthalten sein. Die Regelung eines eventuellen Zugewinnausgleichs muss dagegen nicht vor oder bei der Ehescheidung miterledigt werden, sondern kann auch später erfolgen. Eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Vorschriften für die Eheauflösung ist die Scheidung zwischen Muslimen, die in Art. 4 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 147/1914 geregelt ist. Die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Zuständigkeit und den Prozess vor dem Mufti sind nach dem Gesetz Nr. 4511/2018 nunmehr im Präsidialdekret Nr. 52/2019 umfassender geregelt.
Rz. 46
Das griechische Scheidungsrecht unterscheidet zwischen absoluten und relativen Scheidungsgrü...