Rz. 55

Das Pflichtteilsrecht garantiert durch Einschränkung der Testierfreiheit des Erblassers den übergangenen nächsten Angehörigen selbst gegen den Willen des Erblassers eine Beteiligung am Nachlass. Anders als im deutschen Recht ist der Pflichtteilsberechtigte hinsichtlich der Pflichtteilsquote kein Nachlassgläubiger einer Geldforderung, sondern ein echter Erbe (Art. 1825 § 2 grZGB).[40] Daher ist sein Pflichtteilsrecht vererblich,[41] er hat das Recht auf Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft (Art. 1847 ff. grZGB), einen Erbteil und nimmt an der Erbengemeinschaft teil (Art. 1884 grZGB),[42] er haftet für die Nachlassverbindlichkeiten (Art. 1885, 1901 ff. grZGB) etc.

 

Rz. 56

Neben der Zuwendung eines Erbteils kann der Pflichtteil auch durch Zuwendung eines Vermächtnisses (Art. 1828 grZGB), durch Schenkung von Todes wegen (Art. 2032 grZGB) oder durch freigebige Zuwendungen des Erblassers unter Lebenden erfüllt werden.

 

Rz. 57

Pflichtteilsberechtigt sind nur die Abkömmlinge, der Ehegatte oder Lebenspartner (Art. 11 Abs. 2 G. 3719/2008) und die Eltern des Erblassers (Art. 1825 § 1 grZGB), die durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Für die Pflichtteilserbfolge bestehen einige weitere Voraussetzungen, wie dass der Berechtigte im konkreten Fall aufgrund gesetzlicher Erbfolge zum Erben berufen sein würde (Art. 1825 § 1 S. 1 grZGB). Darüber hinaus ist in Art. 1826 grZGB (Erbfolge im Pflichtteilsrecht oder Anwachsung des Pflichtteils) noch eine Voraussetzung zu finden.

 

Rz. 58

Nach Art. 1825 § 1 S. 2 grZGB (und für die Lebenspartner nach Art. 11 Abs. 2 G. 3719/2008) bezieht sich das Pflichtteilsrecht auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (Pflichtteilsquote). Zuerst muss also festgestellt werden, zu welcher Quote der Pflichtteilsberechtigte Erbe wäre, wenn die gesetzliche Erbfolge gelten würde. Diese Frage wird nach Art. 1813 ff. grZGB beantwortet. Bei dieser Feststellung sind auch alle Personen mitzurechnen, welche durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen sind oder die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt werden (Art. 1830 grZGB). Diese Vorschrift ist im Falle der Erbfolge im Pflichtteil nach Art. 1826 grZGB nicht anzuwenden. Allerdings bewirkt der Ausfall eines Pflichtteilsberechtigten aus diesen Gründen keine Anwachsung zugunsten anderer Pflichtteilsberechtigter.[43]

 

Rz. 59

Das griechische Gesetz enthält auch Vorschriften, die eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Pflichtteilsanspruchs möglichst verhindern sollen. Solche Regelungen betreffen:

Die Anrechnung von freigebigen Zuwendungen des Erblassers unter Lebenden (Art. 1833 grZGB). Sie erfolgt, indem vom Wert eines bestimmten Pflichtteils (Art. 1831, 1832 grZGB) die anzurechnende Zuwendung abgezogen wird;
die Ausgleichung der Zuwendungen des Erblassers (Art. 1834, 1895 grZGB). Dabei kommen auch in diesem Fall die Art. 1826, 1830, 1831 grZGB in Betracht;
die testamentarischen Beschränkungen des Pflichtteils (Art. 1829 grZGB);
die Ergänzung des Pflichtteils (Art. 1827 grZGB);
die pflichtteilswidrigen Schenkungen des Erblassers unter Lebenden (quaerela inofficiosae donationis, Art. 1835–1838 grZGB).
 

Rz. 60

Das Pflichtteilsrecht entfällt, wenn das Erbrecht durch Gründe, die in der Person des gesetzlichen Erben liegen, ausgeschlossen ist. Solche Gründe sind die Enterbung und die Erbunwürdigkeit.

 

Rz. 61

Außerdem sieht das Gesetz unmittelbar ein Recht auf Verzicht auf den Pflichtteil (nach Eintritt des Erbfalls) vor (Art. 1826 grZGB).[44] Der Pflichtteilsverzicht ist nicht nur unter den Formbedingungen der Ausschlagung der Erbschaft zulässig (viermonatige Frist und Erklärung beim zuständigen Beamten der Geschäftsstelle des Gerichts, Art. 1847 ff. grZGB), sondern auch als ein formloser und unbefristeter Verzicht.[45]

[40] Areopag 1329/1980 NoB (29), 687; OLG Nafplion 199/1985 EllDik (27), 1410.
[41] OLG Thessaloniki 220/1973 Arm. 1973, 607 ff.; OLG Athen 2092/1968 Arm. 1969, 129.
[42] Areopag 617/1986 EEN 1987, 111 ff.
[43] Areopag 694/1973 NoB 1974, 185.
[44] Ein "echter" Erbverzicht vor Eintritt des Erbfalls stellt einen unzulässigen Erbvertrag dar und ist nur unter den Voraussetzungen des "lex Onassis" wirksam, siehe dazu Rdn 65.
[45] Stathopoulos, in: Georgiades/Stahopoulos, ZGB Kommentar, Bd. IX, Erbrecht (Art. 1710–1870), Athen 1996, S. 457 (in griechischer Sprache).

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