Rz. 21

England folgt im materiellen Erbrecht dem im Common-Law-Rechtskreis verbreiteten Prinzip der gesonderten Nachlassabwicklung. Dabei geht der Nachlass als Gesamtheit zunächst auf einen personal representative über, der als executor bezeichnet wird, wenn er im Testament ernannt ist, und als administrator, wenn er vom Gericht bestellt wird. Dieser Nachlassabwickler verwaltet nicht wie der deutsche Testamentsvollstrecker die den Erben gehörenden Nachlassgegenstände, sondern wird selbst Inhaber des Nachlasses. Seine wesentlichen Aufgaben bestehen darin, die Nachlassgegenstände zu sammeln, für eine gewisse Zeit zu verwalten, die Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen und schließlich den Reinnachlass an die testamentarisch oder gesetzlich Begünstigten (beneficiaries) zu verteilen oder in einen längerfristigen trust zu überführen.

 

Rz. 22

Dieses Prinzip findet im englischen IPR seine Fortsetzung, indem sich die Nachlassabwicklung (administration) abweichend vom Erbstatut immer nach der lex fori richtet. Dabei handelt es sich um das Recht des Landes, von dessen Gerichten der administrator seine Ernennung bzw. Bestätigung erhält ("the law from which the personal representative derives his authority").[22] Auf die Nachlassabwicklung durch die von englischen Gerichten bestellten personal representatives findet somit immer englisches Recht Anwendung.[23]

 

Rz. 23

England folgt dabei dem Grundsatz, dass der im eigenen Land belegene Nachlass nicht ohne die Berechtigung durch einen englischen grant abgewickelt werden darf.[24] Ein ausländischer Erbe kann daher die in England belegenen Nachlassgegenstände erst dann in Besitz nehmen, diese veräußern oder von Nachlassgläubigern verklagt werden, wenn er zuvor auch in England zum personal representative bestellt wurde.

 

Rz. 24

Aus Sicht der EuErbVO ist zwar nicht die Sonderregelung des Art. 29 EuErbVO, die eine Verknüpfung des Prinzips der Nachlasseinheit mit der lokalen Nachlassabwicklung erreichen sollte, anwendbar, da sich diese Regelung nur auf Mitgliedstaaten bezieht. Im praktischen Ergebnis wird sich aber immer die englische Haltung durchsetzen. Hat also ein deutscher Erblasser auch Vermögen in England, muss sich der Erbe oder Testamentsvollstrecker in England erst zum administrator bestellen bzw. als executor bestätigen lassen, um sodann den Nachlass nach englischem Recht abzuwickeln – auch wenn für die Erbfolge aus EU-Sicht eigentlich deutsches Recht zur Anwendung kommt!

 

Rz. 25

Vom Anwendungsbereich der lex fori werden alle Handlungen und Befugnisse des administrators, die der Vorbereitung der Verteilung des Reinnachlasses an die Begünstigten dienen, umfasst.[25] Dazu zählen auch die Regeln zur Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten, insbesondere zu deren Verjährung und Zulässigkeit in der Nachlassverwaltung, und zu deren Rangfolge bei insolventen Nachlässen. Daneben bestimmt die lex fori die sog. mechanics of the distribution, also die Art und Weise der Verteilung an die Begünstigten, den Rechtsübergang und das Verhältnis mehrerer Nachlassabwickler zueinander. Das Erbstatut erfasst dagegen nur die Verteilung des Nachlasses (distribution), d.h. alle Fragen, wer nach der Abwicklung etwas als testamentarisch oder gesetzlich Begünstigter aus dem Nachlass verlangen kann, und ob etwaige Pflichtteilsrechte oder ähnliche gesetzliche Ansprüche bestehen. Dazu zählen aus englischer Sicht auch die Ansprüche auf family provisions (sieh dazu Rdn 67 ff.), wobei zu beachten ist, dass diese nach der materiell-gesetzlichen Regelung in England nur gewährt werden, wenn der Erblasser sein Domizil im Inland hatte.

[22] Dicey, Morris and Collins, Rule 143, Rn 26R-030 ff.; Cheshire, North & Fawcett, S. 1334.
[23] Re Kloebe [1884] 28 Ch.D. 175; Re Lorillard [1922] 2 Ch. 638.
[24] Vgl. Dicey, Morris and Collins, Rules 144, Rn 26R-036 ff.; Cheshire, North & Fawcett, S. 1334.
[25] Vgl. Dicey, Morris and Collins, Rn 26–032 ff.

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