Rz. 26
Eine der umstrittensten kollisionsrechtlichen Fragen vor Inkrafttreten der EuErbVO betraf dagegen die "umgekehrte" Frage, nämlich ob eine administration englischen Rechts auch den Nachlass in Deutschland erfasst. Diese Frage kann v.a. dann Bedeutung haben, wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt und sein letztes domicile in England hatte, aber beweglichen Nachlass in Deutschland hinterlässt, oder wenn der Erblasser mit Vermögenswerten in Deutschland sein englisches Staatsangehörigkeitsrecht nach Art. 22 EuErbVO wählt. Denn in diesem Fall kommt zwar für die Erbfolge englisches Recht zur Anwendung, Deutschland hätte aber aus englischer Sicht in gleicher Weise, wie das England für sich selbst in Anspruch nimmt, das Recht, einen eigenen personal representative (sog. ancillary administrator) zu bestellen, also seine Nachlassabwicklung durchzusetzen.
Rz. 27
Bezüglich der Folgerungen, die aus dieser Haltung Englands zu ziehen sind, wurden in Deutschland seit Jahrzehnten zwei Meinungen vertreten, ohne dass sich eine in Rechtsprechung oder Literatur als herrschend durchsetzen konnte:
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Nach der sog. Spaltungstheorie konnte ein ausländischer personal representative in Deutschland nicht tätig werden, da das englische Recht mit der Annahme, dass Deutschland einen eigenen Nachlassabwickler (sog. ancillary administrator) bestellen dürfte, der dann den Nachlass in Deutschland nach deutschem Recht als lex fori abzuwickeln hätte, eine (versteckte) Rückverweisung enthalte. Folge dieser Theorie wäre, dass in Deutschland nicht die personal representatives, sondern die – nach englischem Erbfolgerecht zu bestimmenden – beneficiaries als Erben gemäß den Bestimmungen des deutschen Rechts unmittelbar Erben würden und abwicklungsberechtigt wären. Dem testamentarisch bestimmten executor käme nur dann eine Aufgabe zu, wenn seine Stellung in die eines deutschen Testamentsvollstreckers umgedeutet werden könnte. Der gerichtlich eingesetzte administrator würde dabei ganz wegfallen. |
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Nach der – zumindest im Verhältnis zu Großbritannien wohl überwiegend vertretenen – sog. Anerkennungstheorie war die Handlungsbefugnis des in England als Domizilland des Erblassers bestellten personal representative auch für den in Deutschland belegenen Nachlass dagegen anzuerkennen, da Deutschland keine gesonderte Nachlassabwicklung nach Common-Law-Vorbild kennt und daher von dem Recht, einen eigenen Nachlassabwickler zu ernennen, keinen Gebrauch macht. Eine versteckte Rückverweisung aus der Zuständigkeitsverteilung der Gerichte abzuleiten, passe nicht zum englischen Rechtsverständnis, da dieses lediglich Ausdruck einer Selbstbeschränkung gegenüber der ggf. "stärkeren" Rechtsordnung des Belegenheitslandes sei, sofern diese selbst Geltung beanspruche. Eine solche Rücksichtnahme bzw. "bedingte Verweisung" könne aber nicht mit einer versteckten Rückverweisung gleichgesetzt werden, da diese voraussetzt, dass der ausländische Staat grundsätzlich darauf verzichtet, dass sein Recht im Ausland zur Anwendung kommt. |
Rz. 28
Im Anwendungsbereich der EuErbVO wird man nur letztere Auffassung vertreten können. Zwar mag auch bei Art. 34 EuErbVO eine versteckte Rückverweisung, abgeleitet aus Zuständigkeitsvorschriften des angerufenen Drittstaats, grundsätzlich vorstellbar sein. Im Zweifel wird man die Rückverweisungsregel der EuErbVO aber eher einschränkend zugunsten der von der Verordnung angestrebten Nachlasseinheit (vgl. Art. 20, 22 Abs. 1 und Erwägungsgrund 42 der EuErbVO) auszulegen haben. Insbesondere in Art. 22 Abs. 2 Buchst. f) EuErbVO ist dabei klargestellt, dass zum anwendbaren Erbrecht auch die Befugnisse eines personal representative als "anderer Nachlassverwalter" gehören. Zwar mag im Einzelfall der Grundsatz der Nachlasseinheit durch eine partielle Rückverweisung durchbrochen werden (wie dies z.B. im oben dargestellten Erbfolgerecht für Immobilien aufgrund der lex-situs-Regel geschieht). Doch sollte ein renvoi nach der Intention der Verordnung nur zum Zwecke des internationalen Entscheidungseinklangs erfolgen, also nur dann, wenn das ausländische Recht selbst nicht angewendet werden will, weil es auf das Recht eines anderen Staates verweist. Die im common law verankerte Tradition, dass jedes Land aufgrund seiner Hoheitsbefugnisse eine untergeordnete lokale ancillary administration anordnen kann, enthält aber gerade keinen solchen verdrängenden Anwendungsbefehl.
Rz. 29
Bei Aufrechterhaltung der Spaltungstheorie käme es auch zu einer nicht mehr schlüssig erklärbaren Diskrepanz: Ist aus Sicht der EuErbVO englisches Recht nicht nur aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts und Domizils des Erblassers in England anwendbar, sondern aufgrund einer Rechtswahl eines britischen Staatsangehörigen nach Art. 22 EuErbVO, wäre die Annahme einer versteckten Rückverweisung für die Nachlassabwicklung nach Art. 34 Abs. 2 EuErbVO von vornherein ausgeschlossen. Zumindest in diesem Fall, wäre der im Testament benannte executor oder ein hilfsweise b...