Rz. 71
Eine Klage auf family provisions ist begründet, wenn das Testament oder die gesetzliche Erbfolge zu keiner angemessenen finanziellen Versorgung des Antragstellers (reasonable financial provision) führt. Bei der Prüfung dieser Voraussetzung hat das Gericht alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen, wie z.B. die derzeitige und künftige finanzielle Situation des Klägers, anderer Antragsteller und der Erben, der Umfang des Reinnachlasses, die persönlichen Verhältnisse des Klägers und das Verhalten der Beteiligten vor und nach dem Tod.
Rz. 72
Im Übrigen wird bei der Begründetheit und der Art und Höhe der anzuordnenden family provisions zwischen den Ehegatten (bzw. eingetragenen Lebenspartnern) und sonstigen Antragstellern unterschieden:
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Im Regelfall kommt es bei allen Antragstellern auf deren unter Berücksichtigung aller Umstände angemessenen Unterhaltsbedarf an, wobei dieser nicht durch das Existenzminimum bestimmt wird, sondern ein der sozialen Stellung und den Lebensumständen des Antragstellers entsprechend bescheidenes Leben weder im Überfluss noch in Armut ermöglichen soll. Berechtigt sind danach insbesondere minderjährige, kranke oder in Ausbildung befindliche Kinder. Die Übergehung volljähriger, erwerbsfähiger Kinder nach der Ausbildung und von Stiefkindern wird dagegen nur in Ausnahmefällen (z.B. wenn die gesamte Vermögensverteilung unter Einbeziehung früherer Erbschaften vorverstorbener Elternteile als unbillig anzusehen ist) vom Gericht korrigiert, da hier meistens die weiteren Umstände des Einzelfalls keine Veranlassung geben, vom Erblasser eine finanzielle Versorgung zu erwarten. Bei nichtehelichen Partnern und Personen, die vom Erblasser Unterhalt erhalten haben, kommt es vor allem auf die persönlichen Umstände vor dem Tod des Erblassers (z.B. die Dauer des Zusammenlebens, wechselseitige Leistungen und Beiträge zur Partnerschaft, Art und Höhe der bisherigen Unterhaltsleistungen) an. |
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Beim überlebenden Ehegatten ist neben dem Unterhaltsbedarf und dem Alter des Ehegatten auch die im Hinblick auf die Dauer der Ehe und die wechselseitigen Leistungen angemessene Beteiligung am gemeinsamen Vermögen entscheidungserheblich. Family provisions können damit auch gewährt werden, wenn der länger lebende Ehegatte zwar nicht unterhaltsbedürftig ist, aber nicht ausreichend am Vermögen des verstorbenen Ehegatten beteiligt wird. Maßstab dafür ist, dass ein Ehegatte nicht schlechter stehen soll, als wenn die Ehe durch Scheidung aufgelöst worden wäre (sog. imaginary divorce guideline). Unter Berücksichtigung der im Matrimonial Causes Act 1973 den Gerichten im Fall der Scheidung eingeräumten weiten Ermessensspielräume geht die Tendenz wohl dahin, dem überlebenden Ehegatten in jedem Fall eine Beteiligung am ehelichen Vermögen einzuräumen, die durchaus bis zur Hälfte des Vermögens des Verstorbenen reichen kann. |
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Beim geschiedenen Ehegatten wird im Regelfall eine Beteiligung am Nachlass nur in Betracht kommen, wenn sich die bei Scheidung zugrunde gelegten Verhältnisse außerordentlich geändert haben oder wenn innerhalb eines Jahres nach gerichtlich angeordneter Trennung oder Scheidung noch kein Vermögensausgleich im Rahmen des Matrimonial Causes Act 1973 erfolgt ist. |
Rz. 73
Das Gericht hat bei seiner Entscheidung einen großen Ermessensspielraum, insbesondere bezüglich der Art und Weise der anzuordnenden Versorgung. Meist werden periodische Zahlungen aus dem Reinnachlass verfügt, die bei Abkömmlingen i.d.R. bis zur Erlangung der Selbstständigkeit, bei älteren Ehegatten auf Lebenszeit laufen. Es können aber auch die Zahlung eines sofort fälligen oder in Raten zu zahlenden Ausgleichsbetrages, die Übertragung eines Nachlassgegenstandes und der Kauf bestimmter Gegenstände angeordnet, sowie Nutznießungsrechte oder trusts an Nachlassteilen begründet werden. Das Gericht kann ferner einstweilige Anordnungen erlassen und seine Regelungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder ändern.
Rz. 74
Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass aufgrund der sehr weiten Ermessensspielräume des Gerichts und den umfangreichen Tatsachen aus der Zeit vor und nach dem Tod, die in die Entscheidung einbezogen werden müssen, verlässliche Planungen kaum möglich sind. Die Übergehung des Ehegatten oder minderjähriger Kinder wird zwar regelmäßig zur Entstehung von Ansprüchen führen, aber auch in diesen Fällen lässt sich Art und Höhe der family provisions kaum vorherbestimmen. Berücksichtigt man die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Höhe und das generell enorm hohe Kostenrisiko bei gerichtlichen Klagen, hat in der Praxis die vergleichsweise Beilegung von etwaigen Forderungen enorme Bedeutung.