Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
Rz. 85
Traditionell anders behandelt wurden dagegen vorsorgende Eheverträge, insbesondere solche, die bereits vor der Heirat geschlossen wurden (sog. pre-marriage contracts bzw. prenuptial agreements). Diese wurden lange Zeit generell als unwirksam angesehen, da damit gegen die guten Sitten verstoßen und das Band der Ehe geschwächt würde. Allerdings hat sich durch eine Reihe von Entscheidungen – die u.a. Fälle betrafen, bei denen ein Ehevertrag nach ausländischem Recht als wirksam anzusehen war – über die Zeit ein Rechtsprechungswandel vollzogen, so dass vorsorgende Eheverträge als einer von mehreren Faktoren in die Abwägung des s. 25 MCA 1973 einbezogen wurden. Die Law Commission hat darüber hinaus 2014 vorgeschlagen, das Ehevertrags- und Scheidungsfolgenrecht zu reformieren und festzulegen, unter welchen Umständen sog. qualifying nuptial agreements wirksam abgeschlossen werden können. Bisher sind die Anregungen der Law Commission zum Ehevertragsrecht nicht umgesetzt worden.
Rz. 86
Den Scheidungsfolgenvereinbarungen weitgehend gleichgestellt wurden jedoch vorsorgende pre-nuptial agreements durch die wegweisende Entscheidung des Supreme Court in Radmacher v. Granatino vom 2.7.2009: Frau Radmacher, die während der Ehe erhebliche Vermögenswerte von ihrem Vater erhalten hat (so dass sich ihr Vermögen bei Scheidung auf über 100 Mio. £ belief), und Herr Granatino, ein französischer Staatsangehöriger mit besten Einkünften aus seiner Tätigkeit bei einer Bank, lebten in London, schlossen aber vor der Heirat einen Ehevertrag in Deutschland, in dem praktisch alle wechselseitigen Rechte ausgeschlossen wurden. Einen übersetzten Entwurf hatte der Ehemann nicht erhalten, wünschte aber auch ausdrücklich keine Terminsverschiebung, so dass der Vertrag bei Beurkundung vom Notar übersetzt wurde. Einblicke in die Vermögensverhältnisse der Ehefrau hatte der Mann nicht, wusste aber, dass sie sehr wohlhabend war. Nach der Heirat und der Geburt zweier Kinder gab der Mann seine gut bezahlte Stellung auf, um in Oxford eine wissenschaftliche Tätigkeit aufzunehmen. Sein Antrag auf financial orders wurde jedoch aufgrund des Ehevertrages – bis auf Anordnungen, die ihm eine angemessene Kindesbetreuung ermöglichen sollen – abgelehnt.
Rz. 87
Der Supreme Court stellt in dieser Entscheidung klar, dass kein Unterschied zwischen vor und nach der Heirat geschlossenen Vereinbarungen besteht, und behandelt den vorsorgenden Ehevertrag wie eine Scheidungsfolgenvereinbarung (siehe hierzu Rdn 81 f.). Das Gericht betonte bezüglich der Umstände, unter denen der Vertrag zustande kam, den Vorrang des Einzelfalls und nicht den bestimmter Formalien (wie z.B. Fristen, Offenlegungspflichten). Da der Ehemann keinerlei Interesse an dem Vertragsinhalt und dem genauen Vermögen seiner Verlobten gezeigt hatte, sah ihn das Gericht nicht als schutzbedürftig an. Und auch der inhaltliche Fairnessmaßstab, an dem die Vereinbarung insbesondere mit Blick auf etwa veränderte Lebensumstände zu messen ist, führte zu keiner anderen Bewertung, da der Berufswechsel des Ehemannes von ihm selbst ausging und keine ehebedingten Nachteile auszugleichen waren.
Rz. 88
Im Ergebnis können damit künftig insbesondere Ausländer, die in Großbritannien leben oder später dorthin ziehen, einen vorsorgenden Ehevertrag auf Grundlage ihres heimatlichen Rechts schließen, der auch im Rahmen der Ermessensausübung des Gerichts eine ernstzunehmende Bedeutung haben wird. Voraussetzung für eine Akzeptanz solcher Verträge wird aber im Regelfall wie bei den Scheidungsfolgenvereinbarungen sein, dass die Beteiligten völlig frei und mit vollem Willen den Vertrag schlossen, was insbesondere voraussetzt, dass
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alle persönlichen Umstände bei Vertragsabschluss offengelegt wurden (möglichst in einer Weise, dass dies vom Partner überprüft werden kann), |
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beide Seiten unabhängigen juristischen Rat erhalten haben (insbesondere durch notarielle Beurkundung), |
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keine ungleiche Verhandlungsposition bestand und |
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keinerlei Druck auf einen Ehegatten ausgeübt wurde. |
Inhaltlich wird darauf zu achten sein, dass finanzielle Bedürfnisse von Kindern und des betreuenden Elternteils und etwaige vorhersehbare ehebedingte Nachteile oder eine sonstige vorhersehbare tatsächliche Not ausreichend berücksichtigt werden.