Rz. 7

Maßgebliche Bedeutung bei der Bestimmung des anwendbaren Erbrechts hat damit das Domizil (domicile) des Erblassers. Mit diesem Begriff, für den es keine feste Definition gibt, soll die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Rechtsordnung, also nicht nur zu einem bestimmten Ort, bestimmt werden. Aufgrund der Intention zur langfristigen Bindung, die mit diesem Begriff verbunden ist, und des größeren Einflusses des Willenselements darf man das "Domizil" aber nicht mit dem Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" i.S.d. EuErbVO gleichsetzen.

 

Rz. 8

Um die Verbundenheit zu einem Rechtsgebiet festlegen zu können, gilt der Grundsatz, dass keine Person ohne Domizil sein kann und niemand mehr als ein Domizil zur gleichen Zeit haben kann. Dabei unterscheidet das englische Recht drei Domizilarten:[10]

Das domicile of origin erwirbt jeder Mensch unabänderlich mit seiner Geburt. Zumindest nach den (noch geltenden) Regeln des englischen Common Law ist dies beim ehelich geborenen Kind das Domizil des Vaters zum Zeitpunkt der Geburt, so dass es weder mit dem Geburtsort noch mit dem Wohnort der Familie identisch sein muss. Ist der Vater verstorben, sind die Eltern geschieden oder ist das Kind nichtehelich geboren, ist das Domizil der Mutter maßgebend.[11] Adoptierte Kinder erhalten das entsprechende Geburtsdomizil des Adoptivvaters bzw. der Adoptivmutter.
Ein domicile of choice kann jede mündige Person ab 16 Jahren selbst erwerben. Für die Begründung eines solchen Wahldomizils müssen zwingend zwei Merkmale zusammentreffen: Objektiv muss in einem Land der tatsächliche Aufenthalt (residence) begründet werden. Subjektiv muss dies in der Absicht erfolgen, in diesem Land (aber nicht zwingend immer am gleichen Ort) für immer oder zumindest für unbestimmte Zeit zu bleiben und nicht in das ursprüngliche Domizilland zurückzukehren (sog. animus manendi et non revertendi). Diese Absicht ist dann zu verneinen, wenn man nur für eine bestimmte Zeit oder bis zu einem bestimmten Ereignis, z.B. bis zum Eintritt des Rentenalters, in dem Land wohnen will, oder zwar nicht weiß, wie lange man bleiben will, aber den ernsthaften Willen hat, irgendwann zurückzukehren oder in ein anderes Land weiterzuziehen. Für den Verlust eines domicile of choice muss die tatsächliche Aufgabe der residence mit der Aufgabe des Willens, in dem Land auf unbestimmte Zeit zu wohnen, zusammentreffen. Wenn dabei nicht bereits ein neues domicile of choice begründet wird, folgt aus der Aufgabe des alten das Wiederaufleben des domicile of origin.[12]
Das domicile of dependency regelt schließlich den Domizilwechsel von unmündigen Personen, die nicht selbst ein domicile of choice erwerben können. Bei Kindern unter 16 Jahren tritt ein Wechsel immer entsprechend dem aktuellen domicile des Vaters bzw. – entsprechend der obigen Regel bei der Geburt – der Mutter ein. Dieses Prinzip setzt sich wohl bei behinderten Kindern, die nicht in der Lage sind, selbst den Willen für ein Wahldomizil zu bilden, fort. Bei Erwachsenen, die später ihre Fähigkeit verlieren, ein neues Domizil willentlich zu bilden, gilt dagegen wohl das Prinzip, dass das letzte zuvor begründete Domizil fortbesteht.[13]
 

Rz. 9

Das Fortbestehen eines Domizils wird so lange vermutet, bis der Beweis für den Erwerb eines neuen von dem, der sich auf den Wechsel beruft, erbracht ist. Dabei werden sehr strenge Maßstäbe angelegt, wenn es sich um die Abwahl eines domicile of origin handelt, leichtere, wenn die Aufgabe eines Wahldomizils in Frage steht.

 

Rz. 10

In der Praxis zu beachten ist, dass zum Nachweis der subjektiven Elemente immer alle Lebensumstände berücksichtigt werden müssen, da es kein Anzeichen gibt, das für sich allein den "animus manendi" belegt. Insbesondere ist das domicile nicht vom Erblasser bestimm- oder wählbar, so dass auch einer Rechtswahl i.S.d. Art. 22 EuErbVO aus Sicht Großbritanniens keine entscheidende Bedeutung zukommt. Selbst der Wechsel der Staatsangehörigkeit dürfte nicht als eindeutiger Beleg für einen Domizilwechsel herangezogen werden. In Zweifelsfällen darf man sich daher nicht allein auf einfache Erklärungen der Beteiligten stützen, da im Einzelfall auch objektive Kriterien, wie z.B. das Beibehalten von Vermögensanlagen oder das Vorhalten einer Grabstelle am Heimatort, maßgebliche Bedeutung haben können.

 

Rz. 11

 

Praxishinweis:

Bei der Gestaltung letztwilliger Verfügungen sollte daher eine pauschale Festlegung des Domizils vermieden werden. Sehr hilfreich können aber detaillierte Auskünfte der Testatoren zu ihren Lebensumständen und -planungen sein.

[10] Vgl. eingehend zum Domizilbegriff Henrich, RabelsZ 25 (1960), S. 458 ff.; Staudinger/Dörner, Anh. zu Art. 25 f. EGBGB Rn 282; Dicey, Morris and Collins, Rn 6–001 ff.; Cheshire, North & Fawcett, S. 145 ff.; Clarkson & Hill‘s, Rn 6.6 ff.
[11] Zur Kritik und zum Reformbedarf vgl. Clarkson & Hill‘s, Rn 6.18 f.
[12] Das englische Recht unterscheidet sich hier von den US-amerikanischen Grundsätzen, nach denen das letzte Wahldomizil sola...

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