Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
Rz. 64
Die Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben in der Praxis wird erheblich durch Präzedenzurteile der Obergerichte bestimmt, wobei sich die höchstrichterliche Rechtsprechung seit dem Jahr 2000 grundlegend wandelte, indem sie den Schwerpunkt von einer eher bedürfnisorientierten Prüfung zu einem teilhabeorientierten Gleichheitsmaßstab verschob. Entscheidende Bedeutung für diese Entwicklung hatte das Urteil des House of Lords in White v. White (siehe Rdn 61), in dem das Gericht folgende Leitlinien ausgearbeitet hat:
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Ziel der gesetzlichen Regelung ist ein faires Ergebnis (a fair outcome for both parties), so dass nicht nur auf die finanziellen Bedürfnisse des Anspruchstellers abgestellt werden darf, sondern alle Merkmale des s. 25 MCA 1973 gleichwertig herangezogen werden müssen. |
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Insbesondere bei längeren Ehen darf kein Ehegatte benachteiligt werden, weil er z.B. seine Beiträge zur Ehe in Form von Haushaltsbetreuung und Kindeserziehung erbracht hat. |
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Jede Entscheidung muss vom Maßstab der Gleichwertigkeit (Yardstick of Equality) ausgehen, was zwar nicht bedeutet, dass eine gleiche Vermögensverteilung als regelmäßiges Ziel vorgegeben werde, dass aber Abweichungen vom Gleichheitsmaßstab nur mit guten und vom Gericht anhand der Merkmale des s. 25 MCA 1973 festgestellten Gründen vorgenommen werden sollen. |
Rz. 65
Diese Grundsätze ließen zunächst noch viele Fragen zur praktischen Handhabung offen. Sie wurden daher in einigen Folgeentscheidungen in der Weise umgesetzt, dass Abfindungssummen konsequent zur hälftigen Verteilung des Vermögens führten (dann jedoch ohne zusätzliche Unterhaltszahlung, da das Vermögen zur Versorgung ausreichte). In anderen Fällen wurden niedrigere Prozentsätze beispielsweise mit der Schwierigkeit, Vermögensgegenstände zu bewerten oder zu verwerten (z.B. im Fall von Unternehmensanteilen), mit besonders herausragenden Beiträgen des Ehemannes zum gemeinsamen Vermögen oder mit einer nicht sehr langen Ehedauer begründet.
Rz. 66
Mit den gemeinsam entschiedenen Fällen Miller und McFarlane präzisierte das House of Lords seine Rechtsprechung in der Weise, dass zwar das principle of equality der Ausgangspunkt sei ("eine Hilfe, keine Regel"), dass aber Abweichungen durchaus zulässig und in vielen Fällen geboten seien. Das Gericht habe dabei drei Zwecke für die nachehelichen Anordnungen zu berücksichtigen:
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die Befriedigung finanzieller Bedürfnisse (needs), |
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den Ausgleich ehebedingter Nachteile (compensation) und schließlich |
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die auf der Gleichwertigkeit beruhende Vermögensteilhabe (sharing). |
Rz. 67
Die Befriedigung finanzieller Bedürfnisse, insbesondere für die Versorgung und Betreuung von Kindern, wie auch die Nachteilausgleichung können dabei dazu führen, dass die anzuordnende Versorgung (deutlich) über einer hälftigen Vermögensteilung liegt. Liegen diese Elemente nicht vor, kann dagegen die hälftige Vermögensteilung auch unterschritten werden, insbesondere wenn es sich um eine eher kurze Ehe handelte, bei der auch berücksichtigt werden darf, ob voreheliches Vermögen vorhanden ist. Besonders bei einer länger andauernder Ehe muss jedoch beachtet werden, dass die festzusetzende Abfindungssumme einen Zugewinnausgleich nach deutschem Recht deutlich übersteigen kann, da auch das von einem Ehegatten in die Ehe eingebrachte oder von ihm ererbte Vermögen in den Ausgleich einbezogen wird.
Rz. 68
Inwieweit die zu den "großen Vermögensverhältnissen" ergangenen Präzedenzfälle auf Scheidungen übertragbar sind, bei denen geringere Vermögenswerte zu verteilen sind und die typischerweise aufgrund der enorm hohen Kosten nie den Court of Appeal oder den Supreme Court (früher: House of Lords) erreichen, ist in der Praxis sicherlich nur schwer vorhersehbar. Grundsätzlich muss der Maßstab der Gleichwertigkeit aber auch für solche Fälle gelten, wobei die Gerichte bei der Verteilung der verfügbaren Vermögenswerte und Einkünfte besonders auf die Lebensbedürfnisse der Kinder und sodann beider Ehegatten (z.B. jeweilige Miete, Kosten eines für die Arbeit benötigten Pkw usw.) zu achten haben. Im Ergebnis wird dies häufig dazu führen, dass der "höhere Anspruch" maßgeblich sein wird, d.h. entweder belegt nach den zu berücksichtigenden Bedürfnissen oder zumindest auf hälftige Vermögensteilung.