Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
1. Vorbemerkung
Rz. 50
England kennt kein materielles Recht, das die Ansprüche der Ehegatten untereinander im Fall der Scheidung verbindlich regelt, sondern denkt in Rechtsbehelfen, die dem zuständige Richter ermöglichen, mit einem sehr weiten Ermessensspielraum die Scheidungsfolgen im Einzelfall zu regeln (siehe im Einzelnen Rdn 52 ff.). Diese Entscheidungsmöglichkeiten des Gerichts, die in den ss. 21–26 Matrimonial Causes Act (MCA) 1973 geregelt sind, umfassen inhaltlich Bereiche, die nach deutschem Verständnis in Kindes-, Trennungs- und nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich sowie der Hausrats- und Wohnungsverteilung unterschieden würden.
2. Ausgleichsanordnungen des Gerichts
a) Arten der gerichtlichen Anordnungen
Rz. 51
Jeder Ehegatte kann vor Erlass des endgültigen Scheidungsurteils und auch noch nach einer in- oder ausländischen Scheidung, längstens jedoch bis zu einer etwaigen Wiederverheiratung, Antrag bei einem Family Court auf Regelung der Scheidungsfolgen stellen (application for a financial order). Nach der Art der Entscheidung des Gerichts unterscheidet man dabei Anordnungen zur finanziellen Versorgung (financial provision orders) und zu Vermögenszuweisungen durch das Gericht (property adjustment orders). Beide Entscheidungsarten können jedoch – wie auch weitere Anordnungen des Gerichts, z.B. zur Aufteilung der Pensionen (pension sharing orders; siehe hierzu Rdn 71) – miteinander kombiniert werden und müssen auf Grundlage einer einheitlichen Gesamtwürdigung des Gerichts (siehe hierzu Rdn 60 ff.) erfolgen. Dabei können die Entscheidungsarten auch keinesfalls mit der aus deutscher Sicht üblichen Einteilung in Unterhalt und Zugewinnausgleich gleichgesetzt werden. Gerade einmalige Zahlungen bzw. Vermögenstransfers rechtfertigen sich aus englischer Sicht regelmäßig sowohl aus der erforderlichen Versorgung als auch aus einer gleichmäßigen Vermögensbeteiligung.
b) Financial Provision Orders
Rz. 52
Zur finanziellen Versorgung eines Ehegatten kann das Gericht gem. s. 23 MCA 1973 wahlweise folgende Anordnungen treffen:
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die Verpflichtung zur Zahlung wiederkehrender Leistungen ab Scheidung (periodical payment orders). Das Gericht kann dabei auch die Dauer der Unterhaltszahlungen regeln, abhängig davon, ab wann sich der Zahlungsempfänger voraussichtlich ohne unbillige Härte selbst versorgen kann. Periodische Zahlungen enden in jedem Fall, wenn der Zahlungsempfänger wieder heiratet oder eine Partei verstirbt; |
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die Verpflichtung zur Zahlung einer einmaligen Abfindungssumme (lump sum), wobei das Gericht zugleich Ratenzahlungen einräumen kann. |
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Hält das Gericht die Erfüllung der wiederkehrenden Leistungen oder eine Ratenzahlung für unsicher, z.B. weil der Zahlungsverpflichtete im Ausland wohnt, kann es zusätzlich Sicherungsrechte (wie z.B. Pfandrechte) an Vermögensgegenständen begründen. In der Praxis sind diese Anordnungen jedoch selten, da eine eigengenutzte Immobilie in der Regel nicht belastet wird und wenige Ehegatten über ausreichende weitere Vermögensgegenstände verfügen. |
Rz. 53
Der Unterschied zwischen periodischen Unterhaltszahlungen und einer einmaligen, in Raten zu zahlenden Abfindungssumme besteht insbesondere darin, dass das Gericht wiederkehrende Zahlungen jederzeit abändern kann (sog. variation), wenn eine Partei dies beantragt. Es kann insbesondere die angeordneten Laufzeiten verlängern oder verkürzen, die Höhe der Zahlungen ändern oder zu bestimmten Schlusszahlungen übergehen. Bei der Anordnung einer bestimmten Abfindungssumme steht dagegen der einmalige, grundsätzlich nicht mehr abänderbare Ausgleich aller ehelichen Ansprüche im Vordergrund. Ferner bleibt diese bei einer Wiederverheiratung des Berechtigten unberührt.
Rz. 54
Für die Zeit bis zum Erlass des endgültigen Scheidungsurteils (decree absolute) kann das Gericht gem. s. 22 MCA 1973 laufende Unterhaltszahlungen anordnen (order for maintenance pending suite), die mit dem deutschen Trennungsunterhalt vergleichbar sind.
Rz. 55
Laufende oder einmalige Zahlungspflichten kann das Gericht gem. s. 23 (1) (d) bis (e) MCA 1973 auch zur Versorgung von Kindern der Familien (d.h. von gemeinsamen und Stiefkindern) anordnen, wobei solche Regelungen häufig mit der Versorgung des betreuenden Ehegatten verknüpft sind. Die Zuständigkeit der Zivilgerichte aufgrund des MCA 1973 ist heute jedoch nur noch dann gegeben, wenn der Kindesunterhalt nicht durch die Child Support Agency auf Grundlage des Child Support Act 1991 festgelegt werden kann oder wenn eine Erhöhung des durch diese Behörde festgelegten Unterhalts aufgrund der wohlhabenden Vermögensverhältnisse des Zahlungsverpflichteten angestrebt wird.
c) Property Adjustment Orders
Rz. 56
Neben den finanziellen Regelungen kann das Gericht auch unmittelbar auf ...