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Die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte in Scheidungssachen ergibt sich in den meisten Fällen derzeit noch aus der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung vom 27.11.2003 ("Brüssel IIa-VO" bzw. "EUEheVO 2003").[68] Für England bedeutsam können dabei insbesondere die beiden Anknüpfungen werden, die auf den Begriff des Domizils abstellen (zum Domizilbegriff siehe Rdn 11 ff.):

Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a letzter Fall der Verordnung ist die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte eröffnet, wenn der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten in England und dort auch sein domicile hat. Insbesondere wenn ein Ehegatte sein Geburtsdomizil (siehe Rdn 13) in England hatte, kann durch die Aufgabe eines späteren Wahldomizils dieses domicile of origin jederzeit wiederaufleben, selbst wenn der Antragsteller zwischenzeitlich eine andere Staatsangehörigkeit angenommen hatte. Aber auch bei der Annahme eines Wahldomizils in England sind die Gerichte traditionell relativ großzügig, wenn der Antragsteller einen persönlichen Bezug zu England darlegen kann.[69]
Nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung ist die internationale Zuständigkeit auch gegeben, wenn beide Ehegatten ihr Domizil in England haben. Dies kann insbesondere dann Bedeutung haben, wenn Ehegatten unterschiedlicher Nationalität zu Beginn ihrer Ehe das matrimonial domicile in England hatten, danach aber – z.B. aus beruflichen Gründen – gemeinsam im Ausland lebten, ohne dort ein gemeinsames Wahldomizil zu begründen (zum Begriff des gemeinsamen Domizils siehe Rdn 31).

Ob und in welchem Umfang die Brüssel IIa-VO bzw. an die Verordnung angelehnte Zuständigkeitsnormen nach dem "Brexit" in Großbritannien fortgelten werden, ist zum derzeitigen Zeitpunkt völlig unklar.[70] Die für den Fall eines "No-deal-Brexit" erlassene Rechtsverordnung legt nahe, dass die Jurisdiktionsregeln in weiten Teilen der aktuellen Rechtslage entsprechen werden.[71]

[68] Falls ausnahmsweise kein Mitgliedstaat nach der Brüssel IIa-VO zuständig ist, sind englische Gerichte gem. s. 5 (2) Domicile and Matrimonial Proceedings Act 1973 international zuständig, wenn ein Ehegatte im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung in England domiziliert ist.
[69] Nicht ausreichend für die Begründung eines Domizils oder gewöhnlichen Aufenthalts waren dagegen gelegentliche Besuche in Verbindung mit dem Wunsch, in England zu leben, Pierburg v. Pierburg [2019] EWFC 24.
[70] Rieck, NZFam 2016, 878; MüKo-FamFG/Gottwald, 3. Aufl. 2019, Brüssel IIa-VO Art. 1 Rn 24.
[71] Vgl. Jurisdiction and Judgments (Family) (Amendments etc.) (EU Exit) Regulations 2019 (SI 2019/519).

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