Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
1. Allgemeines
Rz. 78
Im Gegensatz zu den meisten kontinentaleuropäischen Jurisdiktionen sieht das englische Recht Eheverträge nicht als grundsätzlich bindend an, sondern betrachtet sie vielmehr als einen Gesichtspunkt unter mehreren, der bei der richterlichen Ermessensausübung berücksichtigt werden kann. In der Regel wird die Wirkung eines Ehevertrages vom konkreten Einzelfall abhängen – und damit häufig auch das Ergebnis erst nach der Entscheidung über die Klage bekannt sein.
2. Kein Verzicht auf Zugang zum Gericht
Rz. 79
Eindeutig entschieden ist seit dem Urteil des House of Lords in Hyman v. Hyman [1929] AC 601, dass eine vertragliche Klausel, mit der ein Ehegatte auf eine Klage bei Gericht verzichtet oder der Zugang zum Gericht eingeschränkt wird, unwirksam ist. Da somit trotz eines Ehevertrages immer Antrag auf financial orders gestellt werden kann, führt diese Rspr. dazu, dass es auch keinen bindenden Verzicht auf bestimmte einzelne Scheidungsfolgen geben kann. Denn im Unterschied zum deutschen Recht, in dem die Beteiligten mit einem Verzicht auf nachehelichen Unterhalt, Zugewinn oder den Versorgungsausgleich unmittelbar das zwischen ihnen geltende materielle Recht gestalten, versteht England das Scheidungsfolgenrecht als ein System von Rechtsbehelfen, deren Ausgestaltung immer im Ermessen des Gerichts liegt (vgl. Rdn 50 ff.).
Rz. 80
Das Hyman-Prinzip, mit dem jede Klausel, die den Zugang zum Gericht beschränkt, als unwirksam angesehen wird, ist nun in s. 34 (1) MCA 1973 für die sog. maintenance agreements gesetzlich festgeschrieben. Jedoch bestimmt Abs. 2 dieses Paragraphen, dass die Unwirksamkeit nicht zugleich zur Nichtigkeit etwaiger weiterer inhaltlicher Vereinbarungen im Vertrag führt. Dadurch bleibt beispielsweise eine vertraglich vereinbarte Unterhaltszahlung durchsetzbar, auch wenn sich der Zahlungsempfänger zugleich verpflichtet hat, keine Klage auf höheren Unterhalt zu erheben. Vom Anwendungsbereich der ss. 34–36 MCA 1973 sind jedoch nur solche maintenance agreements umfasst, die während des Bestehens oder nach Auflösung der Ehe schriftlich getroffen wurden. Ist dies nicht der Fall, z.B. bei vorehelichen Eheverträgen oder mündlichen Absprachen, wird durch den Verzicht auf Klage die gesamte Vereinbarung unwirksam.
3. Scheidungsfolgenvereinbarungen
Rz. 81
Inwieweit inhaltliche Vereinbarungen der Ehegatten Einfluss auf die Gerichtsentscheidung zu den finanziellen Scheidungsfolgen haben können, hängt i.Ü. vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ab. Vereinbarungen, die erst im Zusammenhang mit einer Trennung oder einer Scheidung getroffen werden, sind seit der Leitentscheidung des Court of Appeal in Edgar v. Edgar [1980] 3 All ER 887 in weitem Umfang anzuerkennen. Solche Scheidungsfolgenvereinbarungen werden als ein wichtiger Faktor in der vom Gericht vorzunehmenden Ermessensabwägung nach s. 25 (2) MCA 1973 angesehen (zu den vom Gericht im Übrigen zu beachtenden Ermessensfaktoren siehe Rdn 60 ff.).
Rz. 82
Als Voraussetzung dafür, dass das Gericht vertragliche Vereinbarungen der Beteiligten anerkennt (d.h. keine davon abweichenden eigenen Anordnung trifft), wird in st. Rspr. verlangt, dass
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jeder Ehegatte unabhängigen, qualifizierten juristischen Rat erhalten hat; |
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kein Beteiligter unzulässigen Druck aufgebaut oder eine überlegene Verhandlungsposition ausgenutzt hat und |
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keine wesentliche Veränderung der Lebensumstände seit Abschluss der Vereinbarung eingetreten ist, die die Vereinbarung "manifestly unjust" werden lässt. |
Rz. 83
Liegen diese Voraussetzungen vor, werden in der Regel auch erhebliche Abweichungen vom Gleichheitsmaßstab (vgl. Rdn 64 ff.) akzeptiert, sofern nicht gewichtige Gründe ein Einschreiten des Gerichts erforderlich machen, um ein ungerechtes Ergebnis zu vermeiden (to avoid injustice would be done). Ferner muss die Vereinbarung die Belange der Kinder adäquat berücksichtigen und es dürfen keine privaten Verpflichtungen den öffentlichen Kassen aufgelastet werden.
Rz. 84
In der Praxis werden heute einverständliche Vereinbarungen der Beteiligten selbst vom Gericht gefördert, z.B. durch Mediation und die Verpflichtung der Anwälte, zunächst eine außergerichtliche Streitbeilegung zu erörtern. Eine besondere Ausformung hat die Scheidungsfolgenvereinbarung ferner in der Form der sog. consent order erfahren, bei der die Beteiligten beantragen, dass ihre vertraglichen Vereinbarungen in das Scheidungsfolgenurteil des Gerichts...