Catharina von Hertzberg, Dr. iur. Felix Odersky
1. Lex-fori-Grundsatz
Rz. 92
Da englische Gerichte in einer Gesamtwürdigung über alle Scheidungsfolgen zu entscheiden haben, wird auch kollisionsrechtlich nicht zwischen verschiedenen Anknüpfungen für Unterhalt, Güterrecht und Versorgungsausgleich unterschieden. Vielmehr wenden die Gerichte in England auf alle Scheidungsfolgen – wie auf die Scheidung selbst – immer ihr eigenes Recht als lex fori an, wenn sie ihre internationale Zuständigkeit für eröffnet erachten.
Rz. 93
Das Haager Unterhaltsprotokoll gilt – im Unterschied zu den internationalen Zuständigkeitsregeln der EU-UnterhaltsVO – für Großbritannien nicht, da es keine Teilnahme daran erklärt hat.
2. Internationale Zuständigkeit
Rz. 94
Da die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-VO bzw. EUEheVO 2003) keine Scheidungsfolgen – mit Ausnahme der Regelung der elterlichen Verantwortung – umfasst, ist für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit betreffend die finanziellen Scheidungsfolgen vorrangig noch die EU-UnterhaltsVO, i.Ü. das autonome Recht Englands maßgeblich.
Rz. 95
Ob eine Unterhaltsfrage i.S.d. EU-UnterhaltsVO betroffen ist, ist autonom zu bestimmen. Da englische Gerichte über alle finanziellen Scheidungsfolgen zusammengefasst entscheiden, kann diese Entscheidung nicht aufgespalten, sondern muss einheitlich behandelt werden. In der Regel wird, sofern es nicht (wie bei besonders wohlhabenden Ehegatten) vorrangig um die Teilung des ehelichen Vermögens geht, der unterhaltsrechtliche Charakter im Vordergrund stehen, da nach englischem Recht auch einmalige Zahlungen oder Vermögensübertragungen in erster Linie zur Versorgung des Ehegatten gewährt werden können.
Rz. 96
Im autonomen Recht Englands ist die internationale Zuständigkeit nur teilweise gesetzlich geregelt:
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Wird in England eine Scheidung oder gerichtliche Trennung ausgesprochen, geht man davon aus, dass aus der Regelung des s. 23 MCA 1973 auch die Zuständigkeit für die Scheidungsfolgensachen folgt. |
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Wird dagegen der Antrag auf financial orders in England erst nach eine Scheidung im Ausland gestellt, ist nach s. 15 Matrimonial and Family Proceedings Act 1984 die internationale Zuständigkeit nur eröffnet, wenn eine der Parteien zum Zeitpunkt der Antragstellung oder im Zeitpunkt, als die Scheidung im Ausland wirksam wurde, in England domiziliert war oder mindestens ein Jahr lang vor einem dieser Zeitpunkte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in England hatte. |
Rz. 97
Zu beachten ist, dass ein Antrag auf Regelung der Scheidungsfolgen nach einer im Ausland erfolgten Scheidung erst nach Zulassung durch das englische Gericht erfolgen kann. Ferner soll das englische Gericht vor Erlass einer entsprechenden order besonders prüfen, ob es unter Berücksichtigung aller Umstände das geeignete Forum ist.
3. Regelungsmöglichkeiten aus deutscher Sicht
Rz. 98
Angesichts der noch immer verbleibenden Unsicherheiten bezüglich der Wirkungen vorsorgender Eheverträge im englischen Scheidungsfolgenrecht und der z.T. enormen Kosten streitiger Gerichtsverfahren in England werden aus deutscher Sicht regelmäßig Wege gesucht werden, mögliche Gerichtsverfahren auf Grundlage englischen Rechts zu vermeiden. Dies gilt insbesondere dann, wenn gemischt-nationale Ehepaare in Deutschland einen Ehevertrag schließen, ein Ehegatte im Fall der Trennung aber möglicherweise nach England zurückkehrt.
Rz. 99
Obwohl das englische Recht Güterrechtswahlen grundsätzlich anerkennt, wirken sich diese nicht auf das Scheidungsfolgenrecht aus. Die englischen Gerichte wenden vielmehr immer englisches Scheidungsfolgenrecht an und betrachten eine Rechtswahl des ausländischen Rechts lediglich als Indiz für den Rechtsbindungswillen der Parteien.
Rz. 100
Für Großbritannien gilt zwar nicht das Unterhaltskollisionsrecht des Haager Unterhaltsprotokoll, aber auf verfahrensrechtlicher Ebene derzeit noch die EU-UnterhaltsVO. Daher erkennen englische Gerichte immerhin eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 4 EU-UnterhaltsVO derzeit noch an. Eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der deutschen Gerichte sollte dann aus deutscher Sicht mit einer Rechtswahl nach Art. 8 Haager Unterhaltsprotokoll verbunden werden. Darüber hinaus ...