A. Rechtsanwendungen im Erbrecht
I. Mehrrechtsstaat Großbritannien
Rz. 1
Großbritannien hat zwar, als es noch Mitglied der EU war, bei der Ausarbeitung der EuErbVO erheblichen Einfluss genommen, sich dann aber nicht zum erforderlichen "Opt-In" zur Teilnahme an der Verordnung entschlossen. Im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten, für die die EuErbVO gilt, handelt es sich damit bei Großbritannien also immer, unabhängig vom Zeitpunkt des Todesfalls des Erblassers, um einen sog. Drittstaat, was insbesondere für die Rückverweisungsmöglichkeit des Art. 34 EuErbVO Bedeutung hat.
Rz. 2
Großbritannien ist ein Mehrrechtsstaat, der sich in die Rechtsordnungen von England und Wales einerseits und Schottland andererseits gliedert. Da es im Vereinigten Königreich kein gesamtstaatliches internationales oder interlokales Privatrecht i.S.d. Art. 36 Abs. 1 EuErbVO gibt, muss die Unteranknüpfung aus Sicht Deutschlands nach den Kriterien des Art. 36 Abs. 2 und 3 EuErbVO erfolgen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die nachfolgend dargestellten Kollisionsregeln, die in allen Teilrechtsordnungen des Vereinigten Königreichs nahezu identisch gelten, auch im interlokalen Verhältnis angewendet werden. Insbesondere wenn die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Teilrechtsordnung nach Art. 21 Abs. 1, 36 Abs. 2 Buchst. a) EuErbVO erfolgt, kann es damit gemäß Art. 34 Abs. 1 Buchst. b) EuErbVO innerhalb Großbritanniens zu Weiterverweisungen aufgrund der Belegenheit von Immobilien oder des abweichenden letzten Domizils des Erblassers kommen.
II. Internationales Erbrecht aus Sicht Englands
1. Erbstatut
a) Nachlassspaltung
Rz. 3
Das englische IPR, das gesetzlich nicht normiert ist, folgt im Erbrecht (succession) dem in fast allen Common-Law-Staaten verbreiteten Prinzip der territorialen Nachlassspaltung: Während für die Erbfolge in den unbeweglichen Nachlass (succession to immovables) das jeweilige Belegenheitsrecht (lex rei sitae) Anwendung findet, gilt für die Erbfolge in den beweglichen Nachlass (succession to movables), unabhängig davon, wo dieser belegen ist, das Recht des letzten Domizils des Erblassers.
Rz. 4
Davon zu unterscheiden ist aber die Nachlassabwicklung (administration), die als Teil des Verfahrensrechts angesehen wird und sich damit ausschließlich nach dem lokalen gerichtseigenen Recht richtet (vgl. dazu Rdn 22 ff.). Dem gesetzlich nicht normierten Kollisionsrecht der succession unterliegen daher nur die Fragen der Nachlassverteilung, also wer nach der Abwicklung etwas aus dem Nachlass erhält, nicht aber der eigentliche Übergang auf die testamentarisch oder gesetzlich Begünstigten, der sich rechtlich erst in zweiter Stufe nach der Abwicklung des Nachlasses durch den personal representative vollzieht.
Rz. 5
Die Einordnung eines Vermögensgegenstandes als beweglich oder unbeweglich überlässt England dem jeweiligen Belegenheitsrecht (sog. Qualifikationsverweisung). Für den in Deutschland belegenen Nachlass können daher die früheren Kriterien des Art. 25 Abs. 2 EGBGB herangezogen werden. England selbst löst sich bei der Qualifikation von der Einteilung des eigenen Sachenrechts und passt sich an ein eher natürliches und international verbreitetes Begriffsverständnis an, so dass man im Ergebnis zu den Immobilien alle Rechte an Grundstücken einschließlich der eingebauten Gegenstände und dem Zubehör rechnet. Sonstiges Vermögen wird dagegen als beweglich behandelt. Ungewöhnlich aus deutscher Sicht ist lediglich, dass die Kaufpreisforderung aus einem Grundstücksverkauf noch zum unbeweglichen Vermögen gezählt wird.
Rz. 6
Praxishinweis:
Auch aus englischer Sicht sind Anteile an Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich aus Immobilien besteht, als beweglich zu qualifizieren, so dass ggf. durch die Einbringung von Grundbesitz in ein Gesellschaftsvermögen bzw. die Entnahme aus diesem Vermögen Einfluss auf das Erbstatut genommen werden kann.