I. Gesetzliche Erbfolge
Rz. 5
Das schottische Erbrecht, das mit dem Succession (Scotland) Act 1964 grundlegend neugefasst wurde, baut die gesetzliche Erbfolge abweichend vom englischen Recht in der Weise auf, dass der nach Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibende Reinnachlass in drei Schritten zu verteilen ist:
1. Prior Rights
Rz. 6
Zunächst erhält der überlebende Ehegatte (bzw. der längerlebende Civil Partner) als sog. prior rights folgende Nachlassgegenstände:
▪ |
Die Rechte des Verstorbenen am Familienheim (dwelling-house), das der überlebende Ehegatte – aber nicht unbedingt der Erblasser selbst – zum Zeitpunkt des Erbfalls als gewöhnlichen Wohnsitz nutzt. Bewohnt der Ehegatte zwei Häuser oder Wohnungen (z.B. eine Stadtwohnung und ein Landhaus), muss er sich binnen sechs Monaten nach dem Tod für eines entscheiden. Übersteigt der Anteil des Verstorbenen an der Immobilie einen Reinwert (nach Abzug etwaiger Hypothekenbelastungen usw.) von 473.000 £, erhält der überlebende Ehegatte statt des Hauses diesen Betrag in bar. Im Streitfall ist der Wert von einem durch den zuständigen sheriff benannten Sachverständigen zu schätzen. Lediglich den Wert des Hauses in Geld erhält der Ehegatte ferner, wenn dieses zu einem Betriebs- oder landwirtschaftlichen Vermögen gehört. |
▪ |
Möbel und Inventar (furniture and plenishing) aus einem Haus, in dem der überlebende Ehegatte wohnt, bis zu einem Höchstwert von 29.000 £. Dieses Vermächtnis entspricht weitgehend dem der englischen personal chattels, wobei beruflich genutzte Gegenstände, Geldvermögen sowie Erbstücke (sog. heirlooms), die an die Familie des Verstorbenen auszuhändigen sind, ausgenommen sind. |
▪ |
Einen festen Geldbetrag von 50.000 £, wenn der Erblasser auch Abkömmlinge hinterließ, bzw. 89.000 £ im Verhältnis zu sonstigen Verwandten. Dieser Geldanspruch ist vom Zeitpunkt des Todes des Erblassers bis zur Auszahlung mit einem regelmäßig angepassten Zinssatz zu verzinsen. |
Rz. 7
Insgesamt kann damit dem überlebenden Ehegatten ein Vermögen von bis zu 552.000 £ vorrangig vor Abkömmlingen des Verstorbenen (bzw. 591.000 £ vor sonstigen Verwandten) zustehen (immer nur bezogen auf den Anteil des verstorbenen Ehegatten bei gemeinsamen Vermögensanlagen), vorausgesetzt, dass alle drei Kategorien der prior rights voll ausgeschöpft werden. In vielen Erbfällen wird dem Ehegatten damit eine Art Alleinerbenstellung zukommen. Zu beachten ist aber, dass die verschiedenen Rechte nicht voneinander abhängig sind, so dass z.B. der feste Geldbetrag unverändert bleibt, auch wenn der Erblasser keine Rechte an Wohnimmobilien besaß.
Rz. 8
Ist der Nachlass kollisionsrechtlich gespalten, fallen die prior rights grundsätzlich unverändert aus dem vom schottischen Recht als Erbstatut erfassten Teilnachlass an. Der Anspruch auf das Familienheim kann jedoch – nach bisherigem Verständnis – nur geltend gemacht werden, wenn die Immobilie in Schottland belegen ist, weil es sich dabei um ein Recht an unbeweglichem Vermögen handelt. Dies gilt auch dann, wenn sich der Anspruch wegen Überschreitung der Wertgrenze in eine Geldforderung wandelt. Das Hausratsvermächtnis würde sich zwar eindeutig auf moveable property beziehen, so dass auch im Ausland belegene Gegenstände erfasst wären, wenn das letzte Domizil des Erblassers in Schottland war. Allerdings wird in der Literatur vertreten, dass sich s. 8 Succession (Scotland) Act 1964 materiell-rechtlich nur auf Hausrat in einem in Schottland belegenen Haus bezieht. Der feste Geldanspruch ist schließlich nach schottischem Erbrecht sowohl zu Lasten des beweglichen als auch des unbeweglichen Vermögens zu erfüllen. Daraus wird gefolgert, dass das Geldvermächtnis bei einer kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung jeweils in voller Höhe zu erfüllen ist, unabhängig davon, ob schottisches Recht als Domizilrecht oder nur als Belegenheitsrecht von Immobilien zur Anwendung kommt.