1. Pflichtteil des Ehegatten und der Abkömmlinge
Rz. 26
Die im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge näher beschriebenen legal rights des überlebenden Ehegatten und der Abkömmlinge des Erblassers sind auch bei testamentarischer Erbfolge vom executor vorrangig zu erfüllen, haben also zugleich den Charakter von Pflichtteilsrechten. Hat bspw. ein Erblasser Frau und Kinder hinterlassen, diese jedoch testamentarisch enterbt, muss ihnen jeweils ein Drittel des beweglichen Vermögens ausgezahlt werden; lediglich der verbleibende Teil kann frei vererbt werden.
Rz. 27
Praxishinweis:
Hat der Erblasser seinen Ehegatten testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt, würde dies bei kleinen Nachlässen zu dem Ergebnis führen, dass dieser schlechter steht als bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge. Denn nur bei dieser gehen die prior rights des Ehegatten, also insb. der Vorabbetrag von 50.000 £ und der Anspruch auf Möbel und Inventar, dem Anspruch der Kinder auf ein Drittel des beweglichen Nachlasses im Rang vor. Allerdings kann sich der Ehegatte die prior rights sichern, wenn er die testamentarischen Zuwendungen ausschlägt und es damit zur (teilweisen) gesetzlichen Erbfolge kommt.
Rz. 28
Die Rechte des Ehegatten und der Kinder sind im schottischen Recht jedoch sehr schwach ausgestaltet, da der Erblasser diese zu Lebzeiten leicht umgehen kann. Zum einen kann er sein Vermögen in Immobilien umschichten, so dass diese von den legal rights, die sich nur auf bewegliches Vermögen beziehen, nicht erfasst werden. Zum anderen muss nur derjenige, der selbst ein legal right geltend machen will, lebzeitige Zuwendungen zur Ausgleichung bringen. Einen Pflichtteilsergänzungsanspruch o.Ä. gegenüber Zuwendungsempfängern, die beim Todesfall selbst keine Rechte mehr geltend machen oder die zu Lebzeiten nur unbewegliches Vermögen geschenkt bekommen haben, kennt dagegen das schottische Recht nicht. Durch Schenkungen können damit die legal rights vollständig ausgehöhlt werden, auch wenn diese unter einem Rückforderungsvorbehalt stehen oder nur von Todes wegen erfolgen. Im Unterschied zum englischen Recht können ferner Vermögensanlagen, die nicht zum Nachlass gerechnet werden (z.B. inter vivos trusts), nicht in die Pflichtteilsrechte einbezogen werden.
Rz. 29
Auf die legal rights kann schon zu Lebzeiten des Erblassers durch den Berechtigten verzichtet werden (sog. discharge), wobei besondere Formvorschriften nicht zu beachten sind. In diesem Falle werden die Ansprüche möglicher anderer Berechtigter so berechnet, wie wenn der Verzichtende ohne Hinterlassung von Abkömmlingen vorverstorben wäre. Verzichtet der Berechtigte dagegen erst nach dem Tod des Erblassers gegenüber dem executor auf Erfüllung seiner Ansprüche (renunciation), fällt der entsprechende Nachlassteil in den free estate, ohne dass sich die Pflichtteile anderer Berechtigter erhöhen.
Rz. 30
Ob Ehegatten bereits zu Lebzeiten – z.B. im Rahmen eines Ehevertrages mit allgemeinem Erbverzicht – auch auf ihre prior rights verzichten können, ist bislang, soweit ersichtlich, in Schottland nicht entschieden. Zu beachten ist jedoch, dass die prior rights auch im Fall der Ausschlagung testamentarischer Zuwendungen nur anfallen, wenn es zur gesetzlichen Erbfolge kommt, da sie selbst keinen Pflichtteilscharakter haben.
Rz. 31
Praxishinweis:
Anstelle eines umfassenden Erbverzichts unter Ehegatten sollte daher darauf geachtet werden, durch die Gestaltung letztwilliger Verfügungen zu vermeiden, dass es zur ganzen oder teilweisen gesetzlichen Erbfolge kommt (z.B. durch die Bestimmung von Ersatzerben im Fall der Ausschlagung von Vermächtnissen). Gleiches gilt anstelle von Erbverzichten sonstiger Verwandter, die zwar keine legal rights haben, aber gesetzliche Erben des free estate würden.
2. Versorgung nichtehelicher Lebenspartner
Rz. 32
Ansprüche auf family provisions, wie diese in England der Inheritance (Provision for Family and Dependants) Act 1975 gewährt, kennt man in Schottland nicht. Weitergehende zwingende Ansprüche als die legal rights des Ehegatten und der leiblichen bzw. adoptierten Kinder können damit grundsätzlich nicht geltend gemacht werden.
Rz. 33
Mit dem Family Law (Scotland) Act 2006 wurden jedoch verschiedene gesetzliche Ansprüche für nichteheliche Lebenspartner (cohabitants) eingeführt. Dies umfasst auch die Möglichkeit, dass der Längerlebende im Fall des Todes eines Partners bei Gericht einen Antrag auf Versorgung stellt. Von einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft geht das Gesetz dabei aus, wenn die Partner bis zum Tod eines von ihnen wie Ehegatten (bzw. bei gleichgeschlechtlichen Partn...