Gleichlautende Ländererlasse v. 19.9.2018, S 4505, BStBl I 2018, 1069
1. Allgemeines
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteile vom 31.3.1982 – II R 92/81 –, BStBl 1982 II S. 424 und 8.6.1988 – II R 143/86 –, BStBl 1988 II S. 785) können personenbezogene Befreiungsvorschriften (unter anderem § 3 Nr. 6 GrEStG) in Fällen der Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG) grundsätzlich nicht angewendet werden. Der BFH hat dies damit begründet, dass beim Anteilserwerb derjenige, in dessen Hand sich alle Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft vereinigen, grunderwerbsteuerrechtlich so behandelt werde, als habe er das jeweilige Grundstück von der Gesellschaft erworben. Dies gilt sinngemäß auch für die ab 1.1.2000 geltende Fassung des § 1 Abs. 3 GrEStG, nach der es ausreichend ist, wenn unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile in einer Hand vereinigt werden.
Für die Fälle der Übertragung bereits vereinigter Anteile (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG) haben die Urteile keine Bedeutung. Da die Grundstücke einer Gesellschaft, deren Anteile zu mindestens 95 % in einer Hand vereinigt sind, grunderwerbsteuerrechtlich diesem Gesellschafter zugerechnet werden, ist bei einer Übertragung der Anteile davon auszugehen, dass der neue Gesellschafter die Grundstücke von dem früheren Gesellschafter und nicht von der Gesellschaft erwirbt. Für die Fälle, in denen mindestens 95 % der Anteile einer Gesellschaft von einem Gesellschafter auf einen anderen übertragen werden, steht somit der Anwendbarkeit personenbezogener Befreiungsvorschriften (z.B. § 3 Nr. 6 GrEStG) nichts entgegen. Dies gilt dem Grunde nach auch für die Vorschrift des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG.
Mit Urteil vom 23.5.2012 – II R 21/10 –, BStBl 2012 II S. 793, hat der BFH seine Rechtsprechung teilweise geändert. Danach findet in den Fällen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG die Befreiungsvorschrift des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG Anwendung, soweit die Vereinigung von Anteilen an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft auf eine schenkweise Anteilsübertragung zurückzuführen ist. Nach Auffassung des BFH beruht in diesen Fällen der fiktive Erwerb der Gesellschaftsgrundstücke ebenso wie der Erwerb der Gesellschaftsanteile insoweit auf einer Schenkung. Der BFH stützt seine Rechtsauffassung dabei auf den Zweck des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG, die doppelte Belastung eines Lebenssachverhaltes mit Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer- bzw. Schenkungsteuer zu vermeiden.
Begünstigungsfähig nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG sind sowohl die tatbestandsauslösende Anteilsübertragung als auch eine oder mehrere vorangegangene schenkweise Anteilsübertragungen unabhängig von deren Schenkungszeitpunkten. Die Begünstigung vorangegangener schenkweiser Anteilsübertragungen setzt voraus, dass das jeweilige Grundstück der Gesellschaft bereits zu den damaligen Schenkungszeitpunkten zuzurechnen war. Nur in diesen Fällen kann überhaupt erst eine steuerliche Doppelbelastung im Zeitpunkt der tatbestandsauslösenden Anteilsübertragung entstehen. Für Anteilserwerbe von Todes wegen im Sinne des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes gilt dies entsprechend.
Beispiele:
1. Übertragung vereinigter Anteile in Höhe von 100 %, unentgeltlich
Vater V ist alleiniger Gesellschafter der grundbesitzenden V-GmbH. Die Gesellschaft verfügt über folgenden Grundbesitz: Grundstück 1 Anschaffung 1.1.1990, Grundstück 2 Anschaffung 1.1.2012. Mit Vertrag vom 1.9.2012 überträgt V unentgeltlich im Wege einer Schenkung einen Anteil in Höhe von 100 % an seinen Sohn S.
Mit Abschluss des Vertrags vom 1.9.2012 werden die vereinigten Anteile von V auf S übertragen. Der Vorgang ist grunderwerbsteuerbar nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG und nach § 3 Nr. 2 Satz 1 oder Nr. 6 GrEStG in voller Höhe von der Grunderwerbsteuer befreit.
2. Anteilsvereinigung in Höhe von 100 % in zwei Rechtsakten, beide unentgeltlich
Vater V ist alleiniger Gesellschafter der grundbesitzenden V-GmbH. Die Gesellschaft verfügt über folgenden Grundbesitz: Grundstück 1 Anschaffung 1.1.1990, Grundstück 2 Anschaffung 1.1.2012. Mit Vertrag vom 1.9.2002 überträgt V unentgeltlich im Wege einer Schenkung einen Anteil in Höhe von 45 % an seinen Sohn S. Mit Vertrag vom 1.10.2012 überträgt V seine restliche Beteiligung in Höhe von 55 % unentgeltlich im Wege einer Schenkung an S.
Mit Abschluss des Vertrags vom 1.10.2012 vereinigen sich alle Anteile an der grundbesitzenden V-GmbH in der Hand des S. Hierdurch wird für jedes der der V-GmbH zuzurechnenden Grundstücke der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht. Die Vereinigung aller Anteile beruht ausschließlich auf Erwerbsvorgängen, die dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz unterliegen. Wegen der unterschiedlichen Anschaffungszeitpunkte der Grundstücke ist wie folgt zu differenzieren:
Das Grundstück 1 ist der Gesellschaft sowohl im Zeitpunkt der vorangegang...