Leitsatz
- Die Mitgliedstaaten müssen eine ausdrückliche Regelung vorsehen, um sich auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie … vorgesehene Befugnis berufen zu können, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der 6. EG-Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.
- Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie ist dahin auszulegen, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte.
Problematik
Die Salix Grundstücks-Vermietungsgesellschaft (Salix) verpflichtete sich 1995, einer Industrie- und Handelskammer (IHK), einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, ein noch zu errichtendes Verwaltungsgebäude mit Tiefgarage für 27 Jahre zu vermieten. Nach Fertigstellung im selben Jahr nutzte die IHK einen Teil der Büroräume für eigene Zwecke und vermietete den Rest an Unternehmer langfristig weiter. Von den Stellplätzen in der Tiefgarage behielt sich die IHK ebenfalls einen Teil zur eigenen Nutzung vor, einen anderen Teil vermietete sie langfristig an die Mieter der Büroflächen weiter; die restlichen Stellplätze stellte sie kurzfristig und gegen Entgelt Fremdparkern zur Verfügung.
Um die bei der Errichtung des Gebäudes angefallenen Vorsteuerbeträge abziehen zu können, die auf den von der IHK langfristig weitervermieteten Teil des Gebäudes entfielen, verzichtete Salix gem. § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerbefreiung ihrer Vermietungsumsätze an die IHK nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Das Finanzamt lehnte diesen Vorsteuerabzug jedoch mit der Begründung ab, die IHK sei insoweit nicht i.S.v. § 9 Abs. 1 UStG"unternehmerisch" tätig geworden. Nur die kurzfristige Vermietung könne als Tätigkeit im Rahmen eines "Betriebs gewerblicher Art" i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG angesehen werden; die langfristige Vermietung falle als bloße "Vermögensverwaltung" nicht unter diese Tätigkeit.
Das für die Besteuerung der IHK zuständige Finanzamt bejahte dagegen sowohl die Unternehmereigenschaft der IHK hinsichtlich ihrer gesamten Weitervermietungstätigkeit als auch die Wirksamkeit ihres Verzichts auf die Steuerbefreiung dieser Tätigkeiten.
Im Revisionsverfahren des Finanzamts legte der BFH die Sache dem EuGH zur gemeinschaftsrechtlichen Klärung vor. Er ging zum einen davon aus, dass sich die Mitgliedstaaten nur dann auf die in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie vorgesehene Befugnis berufen könnten, die Tätigkeiten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die nach Art. 13 oder 28 der 6. EG-Richtlinie von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in diesem Sinne getroffen worden ist. Jedoch findet sich der Begriff "Vermögensverwaltung", auf den die Finanzverwaltung sich hier stützte, weder in § 2 Abs. 3 UStG noch in § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG, noch in § 4 KStG, noch in einer in diesen Vorschriften enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung an die Verwaltung.
Zum anderen ging es dem BFH darum, ob die IHK mit der fraglichen Vermietungstätigkeit – falls man sie mit dem Finanzamt als "hoheitlich" nichtunternehmerisch ansieht – wegen dadurch ausgelöster "Wettbewerbsverzerrungen" nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie als Steuerpflichtiger (Unternehmer) angesehen werden muss (ob diese "Berufung" auf den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer also auch für die öffentliche Hand gilt).
Der EuGH beantwortete die beiden Fragen mit den oben als Leitsätzen wiedergegebenen Grundsätzen.
Zur ersten Frage verwies er darauf, dass Fahrzeug-Stellplatzvermietung ohnehin keine steuerfreie Tätigkeit ist, die gem. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie als Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt behandelt werden darf, dass allerdings dann, wenn die langfristige Stellplatzvermietung (als Zubehör) mit der langfristigen Bürovermietung gekoppelt ist, eine einheitliche Vermietung vorliegen kann. Ist diese steuerfrei, gilt das auch für die Stellplätze.
Im Übrigen muss die Befugnis, die Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie den Mitgliedstaaten einräumt, nach Art. 13 der Richtlinie befreite Tätigkeiten als "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" nicht besteuerte Tätigkeit zu behandeln und damit den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer einzuschränken, unter dem Erfordernis der Rechtssicherheit umgesetzt werden. Daran fehlt es in Deutschland, wo die Praxis der Finanzverwaltung ohne gesetzliche Grundlage ist. Die unterschiedliche Beurteilung durch die für Salix und die IHK zuständigen Finanzämter ...