Leitsatz

Gültige Stimmrechtsvereinbarung zur Beschlussfassung über die Entziehung des Wohnungseigentums in Abweichung zu § 18 Abs. 3 WEG

 

Normenkette

§ 18 WEG

 

Kommentar

  1. In der Gemeinschaftsordnung war u.a. zum Entziehungsbeschluss vereinbart, dass ein solcher der qualifizierten Mehrheit von mehr als der Hälfte aller Stimmen bedürfe. In weiterer Vereinbarung fand sich dann die Regelung, dass sich die für einen Beschluss erforderliche Mehrheit nach Miteigentumsanteilen berechne und jeder 1000stel-Anteil eine Stimme ergebe. Mit 509 Stimmenanteilen wurde vorliegend ein Entziehungsbeschluss gefasst; Anfechtung und Beschwerden blieben in allen drei Instanzen erfolglos.
  2. Nach § 18 Abs. 3 S. 2 WEG ist für einen Entziehungsbeschluss die absolute Mehrheit der stimmberechtigten Miteigentümer erforderlich. § 18 Abs. 3 WEG ist jedoch nach vorherrschender Auffassung dispositiv, d.h. grundsätzlich einer Abänderung durch Vereinbarung der Miteigentümer zugänglich. Der Senat schließt sich dieser Auffassung jedenfalls insoweit an, als es um eine Erleichterung der Herbeiführung eines sog. Entziehungsbeschlusses geht. Für diese Auffassung spricht insbesondere, dass der Gesetzgeber in § 18 Abs. 4 WEG eine ausdrückliche Regelung getroffen hat, in welcher Hinsicht die Vorschrift einer abweichenden Vereinbarung nicht zugänglich ist. Von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers ist hier nicht auszugehen. Der Umkehrschluss aus § 18 Abs. 4 WEG ergibt danach, dass eine Verringerung der Voraussetzungen für einen Entziehungsbeschluss durch Vereinbarung grundsätzlich möglich ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Beschluss der Gemeinschaft über die Entziehung lediglich die formale Voraussetzung für das Entziehungsverfahren darstellt. Materielle Fragen, wie insbesondere die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Gemeinschaft mit dem betroffenen Eigentümer, werden hiergegen erst im Entziehungsverfahren selbst geprüft.

    Vorliegend hat sich die erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht nach Köpfen ("Wohnungseigentümer") zu richten, sondern nach getroffener Vereinbarung "nach Miteigentumsanteilen". In Übereinstimmung auch mit dem BayObLG (v. 24.6.1999, 2Z BR 179/98, NJW-RR 2000, 17) ist allerdings davon auszugehen, dass nicht jede in der Gemeinschaftsordnung enthaltene Abänderung des Kopfprinzips auch als Abänderung des § 18 Abs. 3 WEG verstanden werden darf. Insbesondere kann eine Regelung, die sich ausdrücklich auf die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bezieht, nicht im Wege der Auslegung auf die Beschlussfassung über das Entziehungsverfahren erstreckt werden, da es sich insoweit nicht um eine Verwaltungsangelegenheit handelt. Erforderlich ist daher eine Regelung durch die Teilungserklärung oder eine Vereinbarung, die sich ausdrücklich auf die Entziehung des Wohnungseigentums bezieht (wie im vorliegenden Fall).

  3. Es entspricht auch allgemeiner Auffassung, dass die Frage hinreichender Gründe für eine Entziehung – wie erwähnt – nicht im Verfahren des Gerichts nach dem WEG zur Wirksamkeit des Entziehungsbeschlusses, sondern im eigentlichen Entziehungsverfahren vor dem Prozessgericht (§ 51 WEG) zu klären sind (Münchner Kommentar/ Engelhardt, 4. Auflage, § 18 Rn. 9).
 

Link zur Entscheidung

OLG Hamm, Beschluss vom 01.04.2004, 15 W 71/04

Anmerkung

Mit dieser Entscheidung hat der Senat die bisher höchst umstrittene Frage geklärt, ob durch Vereinbarung das Stimmrechtsprinzip auch im Rahmen einer Entziehungsbeschlussfassung nach § 18 Abs. 3, S. 2 WEG rechtswirksam geändert werden kann, oder ob das dort geregelte Kopfprinzip gesetzlich zwingend und damit ausschließlich anwendbar ist. Der Senatsentscheidung ist hier zuzustimmen, dass hier auch ausdrücklich zum Entziehungsverfahren ein anderweitiges Stimmrechtsprinzip (wie im vorliegenden Fall das Wertprinzip) vereinbarungsfähig ist (a.e. contrario aus § 18 Abs. 4 WEG). Allerdings muss hier m.E. nicht von einer "Erleichterung des Mehrheitserfordernisses für den Entziehungsbeschluss" gesprochen werden, wie der Senat meint. Von einer Erleichterung des Mehrheitserfordernisses würde ich sprechen, wenn vereinbart sein sollte, dass für die Entziehung z.B. einfache Stimmenmehrheit ausreichen sollte. Diese Frage scheint mir nach wie vor noch nicht abschließend geklärt, ob also auch das im Gesetz erwähnte qualifizierte Mehrheitserfordernis rechtswirksam auf einfache Mehrheit durch Vereinbarung reduziert werden könnte. Bezieht man sich – wie der Senat – auch insoweit auf den Umkehrschluss aus § 18 Abs. 4 WEG, dürfte damit wohl die Regelung des § 18 Abs. 3 WEG gänzlich als dispositiv anzusehen sein.

Allerdings bin ich der Auffassung, dass in einer Beschlussanfechtung eines Entziehungsbeschlusses neben etwa allein formalrechtlichen Beschlussrügen auch schon inhaltliche Gründe gegen die Ordnungsgemäßheit eines solchen Beschlusses geltend gemacht werden und damit auch wohnungseigentumsgerichtlich entschieden werden können. Das nachfolgende Veräußerungsverpflichtungsverfahren soll hier in Art einer "Doppelprüfung...

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