Rz. 329
Grundsätzlich besteht für die Ehegatten Vertragsfreiheit hinsichtlich der Gestaltung ihrer güterrechtlichen Verhältnisse. Die Rechtsprechung des BGH und des BVerfG haben die Gestaltungsmöglichkeiten bei Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen jedoch deutlich eingeschränkt. Gerichtliche Entscheidungen zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen beziehen sich dabei in der Regel auf Eheverträge, mit welchen nicht nur güterrechtliche Regelungen getroffen wurden, sondern kumulativ dazu auch Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich und/oder Ehegattenunterhalt abgeschlossen wurden. Recht unproblematisch hingegen sind in der Regel die Eheverträge, mit denen die Eheleute anstelle des gesetzlichen Güterstandes einen Wahlgüterstand vereinbaren oder den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft modifizieren.
Rz. 330
Ausgangspunkt für die Einschränkungen durch die Rechtsprechung sind zwei grundlegende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Danach habe der Staat der Freiheit der Ehegatten, ihre ehelichen und rechtlichen Beziehungen durch Vertrag zu gestalten, dort Grenzen zu setzen, wo der Vertrag nicht Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft sei, sondern eine einseitige Dominanz eines Ehegatten widerspiegele. Weiterhin vertritt die Rechtsprechung jedoch die Auffassung, dass die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn und Versorgungsausgleich grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten unterliegen; einen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zu Gunsten des berechtigten Ehegatten kennt das geltende Recht nicht. Diese grundsätzliche Disponibilität der Scheidungsfolgen darf indes nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Nach Auffassung der Rechtsprechung wäre dies dann der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die für den belasteten Ehegatten als unzumutbar erscheint. Der BGH zieht daraus die Schlussfolgerung, dass die Belange des belasteten Ehegatten einer umso genaueren Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Regelung in den so genannten Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
Rz. 331
Bei der Ausrichtung am Kernbereich der Scheidungsfolgen kann für deren Disponibilität eine Abstufung vorgenommen werden, die sich danach bemisst, welche Bedeutung die jeweilige Regelung für den Berechtigten in seiner jeweiligen Lebenssituation hat. Diese Abstufung hat die Rechtsprechung seither im Wesentlichen wie folgt vorgenommen, wobei die Scheidungsfolgen der vertraglichen Disposition umso weiter zugänglich sind, je höher ihre Stufe ist:
1. Stufe: |
der Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB |
2. Stufe: |
der Krankheitsunterhalt gemäß § 1572 BGB, der Altersunterhalt gemäß § 1571 BGB und der Versorgungsausgleich wegen seiner Funktion als vorweggenommener Altersunterhalt |
3. Stufe: |
der Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit gemäß § 1573 Abs. 1 BGB |
4. Stufe: |
der Kranken- und Altersvorsorgeunterhalt gemäß §§ 1578 Abs. 2, 1578 Abs. 3 BGB |
5. Stufe: |
der Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB, der Ausbildungsunterhalt gemäß § 1575 BGB |
6. Stufe: |
der Zugewinnausgleich |
Rz. 332
Die nach der Kernbereichslehre vorzunehmende richterliche Inhaltskontrolle (die im Übrigen auch für Scheidungsfolgenvereinbarungen gilt) unterscheidet zwischen der Wirksamkeitskontrolle und der Ausübungskontrolle.
18.1 Wirksamkeitskontrolle
Rz. 333
Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle wird die Sittenwidrigkeit der ehevertraglichen Regelungen anhand der gesamten individuellen Umstände bei Abschluss der Vereinbarung geprüft. Es ist zu überprüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – losgelöst von der zukünftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB).
Der BGH hat im Rahmen einer Unternehmerehe zur Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages wie folgt ausgeführt:
"Nach der vom Senat entwickelten Rangfolge der Scheidungsfolgen gehört zu deren Kernbereich in erster Linie der Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB), der schon im Hinblick auf seine Ausrichtung am Kindesinteresse nicht der freien Disposition der Ehegatten unterliegt. Freilich ist auch er nicht jeglicher Modifikation entzogen (grundlegend Senatsurteil BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601, 605)."
"Die Unterhaltsansprüche wegen Alters und Krankheit (§§ 1571, 1572 BGB) sind...