Rdn 2714
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Haftprüfung durch das OLG, Allgemeines, Teil H Rdn 2626, und bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650.
Rdn 2715
1. Die Beurteilung des besonderen Umfangs der Ermittlungen richtet sich nach den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Die Ermittlungen sind konzentriert zu führen und die Ermittlungsbehörden müssen alles unternehmen, um sie möglichst frühzeitig zu Ende zu bringen (KG StV 2015, 36 m. Anm. Herrmann StRR 2014, 356; KG, Beschl. v. 3.1.2017 – (4) 121 HEs 43/16, insoweit nicht in StV 2017, 458 [Ls.]; OLG Nürnberg StraFo 2014, 72).
Rdn 2716
2. Hinzuweisen ist auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:
Rdn 2717
a) Besonderer Umfang der Ermittlungen bejaht,
▪ |
grds. bei einer Vielzahl von Taten, Beschuldigten, Zeugen (Schlothauer/Nobis u.a., Rn 921), aber nicht, wenn über einen Zeitraum von fast sechs Monaten nur 21 Zeugen vernommen werden (OLG Hamm StV 2000, 90), |
▪ |
wenn eine Vielzahl sichergestellter Beweismittel auswertet werden muss (u.a. BGH, Beschl. v. 10.2.2011 – AK 4/11 für Auswertung von u.a. TKÜ, längerfristige Observation und Maßnahmen zur Ermittlung von Geräte- und Kartennummern sowie von Mobilfunkendgeräten sowie von umfangreichen Verbindungsdaten auf dem Laptop des Beschuldigten; ähnlich OLG Stuttgart StV 2011, 749; zur Auswertung von Mobiltelefonen und BtM a. OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.9.2023 – 1 Ws 142/23 [S]), |
▪ |
wenn insgesamt im EV bislang über 200 Zeugen vernommen worden, neben den unmittelbar Geschädigten etliche weitere Zuginsassen, Familienangehörige des Beschuldigten sowie weitere Kontaktpersonen, zumal es nicht nur galt, das unmittelbare Tatgeschehen aufzuklären, sondern auch die (politische und religiöse) Motivation des Beschuldigten zu erhellen (BGH, Beschl. v. 15.5.2022 – AK 19/22), |
▪ |
wenn bei Durchsuchungsmaßnahmen, die nicht nur gegen den Beschuldigten, sondern auch gegen Kontaktpersonen gerichtet gewesen sind, Kommunikationsmittel, elektronische Speichermedien und schriftliche Unterlagen sichergestellt worden sind, deren Auswertung sich zum Teil als aufwendig dargestellt hat und weiterhin fortdauert (BGH, Beschl. v. 15.5.2022 – AK 19/22), |
▪ |
wenn zur Frage der Schuldfähigkeit des Beschuldigten (vorläufige) Stellungnahmen mehrerer psychiatrischer Sachverständiger eingeholt worden und zudem weitere psychiatrische Gutachten in Auftrag gegeben worden sind (BGH, Beschl. v. 15.5.2022 – AK 19/22), |
▪ |
wenn auf in der Wohnung des Beschuldigten sichergestellten Mobiltelefonen über 4.000 Kontakte, über 10.000 Audiodateien großteils in Form von Sprachnachrichten, mehr als 28.000 Bild- und 1.300 Videodateien sowie 32 Benutzerkonten nebst fünf unterschiedlicher E-Mail-Adressen festgestellt worden sind, zu deren Auswertung, da sämtliche Dokumente, Text- und Sprachnachrichten in arabischer Sprache verfasst waren, die Hinzuziehung eines Dolmetschers erforderlich gewesen ist (BGH, Beschl. v. 19.4.2022 – AK 13/22), |
▪ |
ggf. bei Ermittlungen zu Einkünften und zur Vermögenslage des Beschuldigten, wenn damit eine zwingende Einziehungsentscheidung (§ 73 Abs. 1 StGB) vorbereitet werden soll, i.d.R. nicht hingegen bei nur der Vorbereitung von Strafzumessungsentscheidungen dienenden Ermittlungen (zur Möglichkeit der Abtrennung § 422). |
Rdn 2718
b) Besonderen Umfang der Ermittlungen verneint,
▪ |
wenn die Ermittlungsbehörden dem durch den besonderen Umfang entstandenen Ermittlungsaufwand nicht durch geeignete Maßnahmen begegnet sind, wie z.B. (s. i.Ü. Schlothauer/Nobis u.a., Rn 921 m.w.N.) |
▪ |
durch vermehrten Personaleinsatz (KG, Beschl. v. 15.1.2018 – (4) 161 HEs 62/17; OLG Bremen StV 2016, 824; OLG Düsseldorf StV 1990, 503), |
▪ |
durch konzentrierte Ermittlungen auch bei längerer Flucht und Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland (KG StV 2015, 36 m. Anm. Herrmann StRR 2014, 356), |
▪ |
durch Verfahrensbeschränkung und/oder -trennung (KG StraFo 2007, 26; 2009, 514 [Verhinderung/Erkrankung des Verteidigers des Mitangeklagten sowie Verfahrensverzögerungen durch Verhinderung des mit der Begutachtung des Mitangeklagten beauftragten psychiatrischen SV]; OLG Frankfurt am Main StV 1995, 423 [Teilanklage]; OLG Hamm StV 2000, 90; OLG Köln StV 1993, 33; OLG Oldenburg StraFo 2010, 198; LR-Lind, § 121 Rn 30 f.; SSW-StPO/Herrmann, § 121 Rn 63). |
Siehe auch: → Haftprüfung durch das OLG, wichtiger Grund, Allgemeines, Teil H Rdn 2683 m.w.N.; → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4649, m.w.N.; → Verzögerungsrüge/Verfahrensverzögerung, Teil V Rdn 5346.