Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die gem. § 127b zulässige sog. Hauptverhandlungshaft (im Folgenden kurz: HV-Haft) ist 1997 in die StPO eingefügt worden. |
2. |
Nach der vorläufigen Festnahme durch die StA oder die Beamten des Polizeidienstes ist der Festgenommene gem. § 128 dem für die Durchführung der HV zuständigen Richter vorzuführen. |
3. |
Voraussetzung für die Anordnung der Hauptverhandlungshaft sind dringender Tatverdacht sowie die Wahrscheinlichkeit einer unverzüglichen Entscheidung im beschleunigten Verfahren und die auf bestimmte Tatsachen gestützte Befürchtung, der Festgenommene werde der HV fernbleiben. |
4. |
Der HB nach § 127b Abs. 2 kann in entsprechender Anwendung von § 116 außer Vollzug gesetzt werden. |
Rdn 2143
Literaturhinweise:
Asbrock, Hauptsache Haft – Hauptverhandlungshaft als neuer Haftgrund, StV 1997, 43
Bandisch, Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Hauptverhandlung), StraFo 1996, 34
Fülber, Die Hauptverhandlungshaft, 2000
Grasberger, Verfassungsrechtliche Probleme der Hauptverhandlungshaft, GA 1998, 530
Hellmann, Die Hauptverhandlungshaft gem. § 127b StPO, NJW 1997, 2145
Herzog, Symbolische Untersuchungshaft und abstrakte Haftgründe – Anmerkungen zur "Hauptverhandlungshaft", StV 1997, 215
Keller, Die Hauptverhandlungshaft, Krim 1998, 677
Wenske, 10 Jahre Hauptverhandlungshaft (§ 127b II StPO), NStZ 2009, 63
Wozny, Beschleunigtes Verfahren mit Hauptverhandlungshaft (Teil 1), VD 2018, 244
ders., Beschleunigtes Verfahren mit Hauptverhandlungshaft (Teil 2), VD 2018, 255
s.a. die Hinw. bei → Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 902.
Rdn 2144
1.a) § 127b, der die sog. Hauptverhandlungshaft regelt, ist 1997 in die StPO eingefügt worden. Die Hauptverhandlungshaft war nicht nur politisch umstritten, sondern wird – bis heute – auch in der strafverfahrensrechtlichen Lit. zumeist kritisch beurteilt (s. insbesondere Asbrock StV 1997, 43; Bandisch StraFo 1996, 34; Grasberger GA 1998, 530 ff.; Hartenbach AnwBl. 1996, 83; Herzog StV 1997, 215; Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 2 ff., Schlothauer/Nobis u.a., Rn 151 ff.).
Rdn 2145
b) Die Vorschrift ergänzt die Regeln über das → Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 902, zu deren verstärkter Nutzung sie die StA veranlassen soll und beinhaltet einen eigenen Haftgrund (KK/Glaser, § 127b Rn 1) als Unterfall der U-Haft. Die Einführung des § 127b hat nicht die Wirkung auf die Häufigkeit des → beschleunigten Verfahrens, Teil B Rdn 902, gehabt, die befürchtet worden ist (zur Statistik Wenske NStZ 2009, 63 f.). Stattdessen ist die Zahl der beschleunigten Verfahren im Gegenteil stark zurückgegangen (→ Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 905).
Rdn 2146
c)aa) Die Hauptverhandlungshaft dient der Sicherung der Durchführung der HV im beschleunigten Verfahren. Ihre Anordnung scheidet deshalb aus, wenn der Antrag auf dessen Durchführung bereits nach § 419 Abs. 2 S. 2 zurückgewiesen worden ist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.11.2021 – 1 Ws 437/21, StraFo 2022, 26).
Rdn 2147
bb) § 127b berechtigt die StA und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen oder Verfolgten u.a. dann, wenn eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich ist und aufgrund bestimmter Tatsachen befürchtet werden muss, dass der Festgenommene der HV fernbleiben wird (s. Teil H Rdn 2149 f.).
Rdn 2148
2. Nach der vorläufigen Festnahme durch die StA oder die Beamten des Polizeidienstes, die nicht Ermittlungspersonen der StA zu sein brauchen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 7), gem. § 127b Abs. 1 (dazu Burhoff, EV, Rn 2861) ist der Festgenommene gem. § 128 dem Richter vorzuführen. Nach § 127b Abs. 3 ist das nicht der sonst nach vorläufigen Festnahmen zuständige Ermittlungsrichter, sondern der Richter, der für die HV zuständig sein wird. Davon soll nur "in begründeten Ausnahmefällen" abgesehen werden dürfen (BT-Drucks 13/2576, S. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 13, 14). Der zur Entscheidung in der Hauptsache berufene Richter entscheidet dann gem. § 127b Abs. 2 über den Erlass eines HB.
☆ Für die Vorführung ist dem Beschuldigten (auf Antrag, nicht von Amts wegen) ein Pflichtverteidiger beizuordnen, §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 2 S. 2 (s.a. Burhoff , EV, Rn 3765).Pflichtverteidiger beizuordnen, §§ 140 Abs. 1 Nr. 4, 141 Abs. 2 S. 2 (s.a. Burhoff, EV, Rn 3765).
Rdn 2149
3. Für den Erlass des HB müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
a)aa) Der Festgenommene muss der Tat dringend verdächtig i.S.d. § 112 sein (zum dringenden Tatverdacht Burhoff, EV, Rn 4892 ff.).
Rdn 2150
bb) Es müssen die in § 127b Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten Festnahmegründe vorliegen, und zwar kumulativ (Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 8). Im Einzelnen gilt:
Rdn 2151
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Es muss eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich sein. Dabei ist "unverzüglich" im Hinblick auf § 127b Abs. 2 dahin auszulegen, dass die HV binnen einer Woche stattfinden muss (Meyer-Goßner/Schmitt, § 127b Rn 9; KK/Gl... |