Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Ob die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der U-Haft über sechs Monate hinaus vorliegen, wird vom OLG in einem besonderen Haftprüfungsverfahren von Amts wegen geprüft. |
2. |
Auch im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121, 122 muss sich der Verteidiger mit der Frage auseinandersetzen, welche Auswirkungen eine im EV unter Hinweis auf § 147 Abs. 2 nicht oder nicht vollständig gewährte AE hat. |
3. |
Das OLG prüft bei der besonderen Haftprüfung nicht nur die Voraussetzungen des § 121, sondern auch, ob überhaupt die Voraussetzungen für die U-Haft gegeben sind, |
4. |
Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 ist der vollzogene Haftbefehl, der dem Beschuldigten ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sein muss. |
5. |
Das OLG prüft schließlich auch, ob der HB den Anforderungen des § 114 entspricht. |
6. |
Nach h.M. beginnt die Sechs-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschuldigte aufgrund eines bestehenden HB ergriffen oder nach vorläufiger Festnahme gegen ihn bei der Vorführung HB erlassen wurde. |
7. |
Die Sechs-Monatsfrist endet mit Vorlage der Akten beim OLG. |
Rdn 2657
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Haftprüfung durch das OLG, Allgemeines, Teil H Rdn 2626, und bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650.
Rdn 2658
1. Ob die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der U-Haft über sechs Monate hinaus vorliegen, wird vom OLG in einem besonderen Haftprüfungsverfahren (§§ 121, 122) von Amts wegen geprüft. Das ist eine besondere Ausprägung des Beschleunigungsgrundsatzes wonach die U-Haft, solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung lautet, wegen derselben Tat über die sechs Monate hinaus nur aufrecht erhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der U-Haft rechtfertigen (zu den Haftfortdauergründen → Haftprüfung durch das OLG, wichtiger Grund, Allgemeines, Teil H Rdn 2683).
Rdn 2659
Ob diese besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der U-Haft vorliegen, wird vom OLG in dem besonderen Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 wegen geprüft (zum Verfahren Haftprüfung durch das OLG, Verfahren, Teil H Rdn 2672; zum Verhältnis der Haftprüfung zu einer ggf. eingelegten → Haftbeschwerde, Teil H Rdn 2609, NStZ-RRZ-RR 2012, 285; OLG Hamm StRR 2015, 362 [Ls.]). Die damit zusammenhängenden Fragen, besonders die zur Sechs-Monatsfrist (Teil H Rdn 2666 ff.) und zum Prüfungsumfang sollen im Nachfolgenden in einem Überblick dargestellt werden, wobei die Möglichkeiten der Verteidigung im Vordergrund stehen. Zur Vertiefung ist zu verweisen auf die Komm. bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 121 Rn 1 ff.; KK-Gericke, § 121 Rn 1 ff.; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 888 ff.; SSW-StPO/Herrmann, § 121 Rn 56 ff.; Herrmann, Rn 919 ff. und auf meinen Beitrag in StraFo 2000, 109 ff., der die anstehenden Fragen eingehend behandelt (zu den wichtigen Gründen für die Fortdauer → Haftprüfung durch das OLG, wichtiger Grund, Allgemeines, Teil H Rdn 2683).
☆ Dieses Haftprüfungsverfahren darf nicht dadurch umgangen werden, dass kurz vor Ablauf der Sechs-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 Termin zur HV anberaumt wird, diese dann aber nicht zügig, sondern unter Ausnutzung der inzwischen verlängerten Unterbrechungsfristen des § 229 durchgeführt wird. Darin kann eine (unzulässige) Umgehung des § 121 liegen (OLG Hamm StraFo 2006, 25; StV 2006, 191; zu allem auch Keller/Meyer-Mews StraFo 2005, 353).nicht dadurch "umgangen" werden, dass kurz vor Ablauf der Sechs-Monatsfrist des § 121 Abs. 1 Termin zur HV anberaumt wird, diese dann aber nicht zügig, sondern unter Ausnutzung der inzwischen verlängerten Unterbrechungsfristen des § 229 durchgeführt wird. Darin kann eine (unzulässige) Umgehung des § 121 liegen (OLG Hamm StraFo 2006, 25; StV 2006, 191; zu allem auch Keller/Meyer-Mews StraFo 2005, 353).
Voraussetzung der OLG-Haftprüfung ist aber, dass der HB vollzogen wird (BGH StV 2016, 824 [Ls.]; Schlothauer/Nobis u.a., Rn 882).
Rdn 2660
2. Hinweis für den Verteidiger
Auch im Rahmen der besonderen Haftprüfung nach den §§ 121, 122 muss sich der Verteidiger mit der Frage auseinandersetzen, welche Auswirkungen eine im EV unter Hinweis auf § 147 Abs. 2 nicht oder nicht vollständig gewährte AE hat. In diesem Zusammenhang ist § 147 Abs. 2 S. 2 und die ihr zugrunde liegende Rspr. des EGMR zur AE (EGMR StV 1993, 283; NJW 2002, 2013, 2015, 2018 m. zust. Anm. Kempf StV 2001, 207; StV 2008, 475; 2010, 490; StRR 2009, 433) sowie die des BVerfG (BVerfG StV 1994, 465; NJW 2004, 2443; 2006, 1048; zuletzt StV 2008, 57; dazu auch → Akteneinsicht, Beschränkung, Teil A Rdn 313 ff.; s.a. Schlothauer StV 2001, 195) von Bedeutung. Folge dieser Regelung in § 147 Abs. 2 S. 2, wonach dem Verteidiger der inhaftierten Beschuldigten "in der Regel" AE zu gewähren ist, und der obergerichtlichen Rspr. ist, dass auf sol...