Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Betroffene hat einen Anspruch, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. |
2. |
Bei einer Verspätung des Verteidigers muss das Gericht mit dem Beginn der HV eine angemessene Zeit zuwarten. |
3. |
Bei einer Verhinderung des Verteidigers hat der Betroffene kein Recht, die Aussetzung der HV zu verlangen. |
4. |
Wird der Verteidiger nicht zur HV geladen und erscheint deswegen nicht, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. |
Rdn 2430
Literaturhinweise:
S. die Hinweise bei → Hauptverhandlung, Allgemeines, Rdn 2372 und → Hauptverhandlung, Ausbleiben des Betroffenen, Rdn 2398.
Rdn 2431
1. Der Betroffene in einem OWi-Verfahren hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren. Ausdruck dieses Anspruchs ist das grundsätzliche Recht des Betroffenen, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (§ 137 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1) (vgl. KG VRS 105, 223).
☆ Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor (→ Pflichtverteidigung im OWi-Verfahren , Rdn 2888 ), ist eine HV ohne einen Verteidiger nicht zulässig (vgl. § 145 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1).notwendiger Verteidigung vor (→ Pflichtverteidigung im OWi-Verfahren, Rdn 2888), ist eine HV ohne einen Verteidiger nicht zulässig (vgl. § 145 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1).
Rdn 2432
2.a) Erscheint der Verteidiger zur festgesetzten Terminsstunde nicht, darf das Gericht nicht sogleich mit der HV beginnen. Die prozessuale Fürsorgepflicht erfordert es, bei einer Verspätung des Verteidigers eine angemessene Zeit zu warten, bevor mit der Sitzung begonnen wird (OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179). Die erforderliche Wartezeit beträgt mindestens 15 Min., wenn die Verspätung nicht angekündigt ist (VerfGH Berlin NJW-RR 2000, 1451; BayObLG VRS 67, 438; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 179 m.w.N.; NStZ-RR 2007, 120; 2009, 251; OLG Köln NZV 1997, 494). Bei angekündigter Verspätung kann eine deutlich längere Wartezeit geboten sein (KG VRR 2/2017, 18; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Zweibrücken VRS 112, 122).
☆ Kann der Verteidiger absehen, dass er nicht pünktlich zum Beginn der HV erscheinen kann, muss er dies dem Gericht möglichst umgehend mitteilen . Das gebietet nicht nur die Höflichkeit, sondern auch die Fürsorge gegenüber dem Mandanten. In diesen Fällen dürfte ein verspäteter Beginn oder die Verlegung der HV durch das Gericht geboten sein.Verteidiger absehen, dass er nicht pünktlich zum Beginn der HV erscheinen kann, muss er dies dem Gericht möglichst umgehend mitteilen. Das gebietet nicht nur die Höflichkeit, sondern auch die Fürsorge gegenüber dem Mandanten. In diesen Fällen dürfte ein verspäteter Beginn oder die Verlegung der HV durch das Gericht geboten sein.
Eine Verspätung ist auch dann angekündigt, wenn die Mitteilung nur die Geschäftsstelle, nicht aber den Richter erreicht. Dieser muss sich dort erkundigen (OLG Köln, a.a.O.), nicht aber auch noch bei der allgemeinen gerichtlichen Posteingangsstelle (OLG Bamberg NZV 2009, 355 = VRR 2009, 229 = NStZ-RR 2009, 149; s. aber OLG Bamberg NZV 2008, 259 = NStZ-RR 2008, 86 für einen vier Stunden vor der HV eingegangenen Antrag).
Rdn 2433
b) Für die Bestimmung der konkret einzuhaltenden Wartezeit sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, wobei die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens, der Anlass für die Terminversäumnis, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung berücksichtigt und abgewogen werden müssen (VerfGH Berlin NJW-RR 2000, 1451; KG VRR 2/2017, 18; OLG Düsseldorf VRS 89, 368; vgl. auch OLG Bamberg zfs 2006, 656 [angemessene Rücksichtnahme auf eine etwaige Verhinderung des Verteidigers bei kurzfristiger Terminierung]).
Rdn 2434
Zur längeren Wartezeit folgende Beispielsfälle:
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Das Gericht muss bis zum Eintreffen des Verteidigers warten, wenn es innerhalb der üblichen Wartezeit (15 Min.) Kenntnis von der Verspätung erhält und mit dem Erscheinen des Verteidigers alsbald zu rechnen ist (VerfGH Berlin NJW-RR 2000, 1451 [Verkehrsstau]; KG VRR 2/2017, 18; BayObLG VRS 60, 304 [Verkehrsstau]; OLG Düsseldorf StV 1995, 454 [auswärtiger Verteidiger ist auf dem Weg zum Gericht]; vgl. Burhoff, HV, Rn 3785). |
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Das Gericht hat Kenntnis davon, dass der Verteidiger zur angesetzten Terminszeit im Gebäude desselben Gerichts einen anderen Termin wahrnimmt (OLG Hamm VRS 68, 49 [Gericht muss Verbindung mit dem Verteidiger aufnehmen und erfragen, ob und ggf. wann mit seinem Erscheinen gerechnet werden kann]). |
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Der Verteidiger reist von auswärts an, und die HV findet in einem Gebäude statt, in das der Verteidiger nicht geladen wurde (OLG Frankfurt am Main AnwBl. 1984, 108). |
☆ Die Wartezeit beginnt bereits mit der angesetzten Terminszeit (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 303; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2012, 258; → Hauptverhandlung, Gang der Hauptverhandlung , Rdn 2494 ).Wartezeit beginnt bereits mit der angesetzten Terminszeit (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 303; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2012, 258; → Hauptverhandlung, Gang der...