Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die U-Haft darf nach § 121 Abs. 1 nur dann länger als sechs Monate dauern, wenn einer der genannten (wichtigen) Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 vorliegt und dieser die Fortdauer der U-Haft rechtfertigt. |
2. |
§ 121 Abs. 1 ist eine Ausnahmevorschrift und demgemäß eng auszulegen. |
3. |
Fraglich ist, ob im besonderen Haftprüfungsverfahren eine Kompensation stattfinden kann, ob also die zögerliche Behandlung des Verfahrens in einem Teil durch besonders bevorzugte/schnelle Behandlung des Verfahrens in einem anderen Teil wieder ausgeglichen werden kann. |
4. |
Genannt werden in § 121 Abs. 1 drei wichtige Gründe, nämlich besondere Schwierigkeiten der Ermittlungen, besonderer Umfang der Ermittlungen sowie andere wichtige Gründe. |
Rdn 2684
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Haftprüfung durch das OLG, Allgemeines, Teil H Rdn 2626, und bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650.
Rdn 2685
1. Die U-Haft darf nach § 121 Abs. 1 nur dann länger als sechs Monate dauern, wenn einer der genannten (wichtigen) Gründe i.S.d. § 121 Abs. 1 vorliegt und dieser die Fortdauer der U-Haft rechtfertigt. Das Letztere ist nur dann der Fall, wenn der wichtige Grund für die Justizbehörden unabwendbar war, sie ihm also nicht durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken konnten.
Rdn 2686
2. § 121 Abs. 1 ist eine Ausnahmevorschrift und demgemäß eng auszulegen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 121 Rn 17 ff.; SSW-StPO/Herrmann, § 121 Rn 56 ff.; zum Auslegungsmaßstab u.a. BVerfG NJW 2006, 672; zuletzt u.a. StV 2008, 421; 2011, 31; StRR 2011, 320). Deshalb ist es grds. unerheblich, ob es sich um leichte oder grobe Fehler/Versäumnisse gehandelt hat (BVerfG NJW 2006, 672; 2006, 1336; KG, Beschl. v. 14.8.2015 – 4 Ws 69/15; offengelassen von BVerfG StV 2006, 703; wohl auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 121 Rn 26 m.w.N.). Auch sind hypothetische Überlegungen, ob bei zügiger Behandlung ein Urteil ebenfalls noch nicht ergangen wäre, i.d.R. nicht zulässig (BVerfG NJW 2006, 672; Seebode StV 1989, 121; s. aber OLG Hamm, Beschl. v. 15.9.2022 – 5 Ws 243/22; zur Kompensation Teil H Rdn 2688). Die Bedeutung der Sache, die Schwere der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat und die zu erwartende Strafe sind ohne Belang (BVerfG NJW 2005, 3485; 2006, 672; StV 2009, 479; 2011, 31; 2015, 39 m. Anm. Burhoff StRR 2014, 447; OLG Jena StraFo 2004, 318; OLG Koblenz StV 2011, 167). Das gesamte Verfahren unterliegt der Kontrolle des OLG. Der StA bzw. den Polizeibehörden steht kein Beurteilungsspielraum zu (BVerfG StV 2007, 644; StRR 2011, 230; a.A. Hoffmann NStZ 2002, 566). Dabei sind erst noch bevorstehende, aber schon eindeutig absehbare Verfahrensverzögerungen ebenso zu berücksichtigen wie bereits eingetretene (st. Rspr., u.a. BVerfG StV 2006, 318 m.w.N.; Beschl. v. 1.4.2020 – 2 BvR 225/20, StV 2021, 765 [Ls.; StRR 2007, 2003 [Ls.]; KG StraFo 2010, 26; OLG Nürnberg StV 2011, 294; StraFo 2014, 72; OLG Stuttgart StV 2011, 749).
Rdn 2687
Mit zunehmender Dauer des Verfahrens gewinnt der Beschleunigungsgrundsatz als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes immer mehr Gewicht (u.a. BVerfG NJW 2005, 2612 [Ls.]; 2006, 672; 2006, 677; 2006, 1336; StV 2008, 421; 2011, 31; Beschl. v. 22.1.2014 – 2 BvR 2301/13; SächsVerfGH StRR 2013, 34; KG StV 2015, 42; BGH, Beschl. v. 6.4.2022 – StB 11/22, NStZ-RR 2022, 187 [Ls.]; OLG Düsseldorf StraFo 2003, 93 [für Neun-Monatsprüfung]; NStZ-RR 2010, 19 [Ls.]; OLG Hamm StV 2006, 191; Beschl. v. 23.4.2020 – 3 Ws 131/20, StV 2021, 174; OLG Frankfurt am Main StV 2006, 195; Beschl. v. 30.6.2022 – 2 HEs 224–227/22, StV 2023, 175 [Ls.]; OLG Karlsruhe NStZ 2001, 79; OLG Koblenz StV 2011, 167; OLG Naumburg StV 2009, 143; 2009, 482; OLG Saarbrücken wistra 2007, 198; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 6.10.2022 – 1 Ws 184/22; dazu auch EGMR NJW 2003, 1439). Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit können die Haftfortdauer i.Ü. auch nur rechtfertigen, wenn sie sich auf die im HB genannten Taten beziehen (BVerfG NStZ 2002, 100; OLG Karlsruhe NJW 2004, 3725; OLG Oldenburg StraFo 2010, 198; s. Teil H Rdn 2663).
☆ Die Sechs-Monats-Frist stellt eine Höchstgrenze dar, aus der nicht der Schluss gezogen werden kann, dass das Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht dem Beschleunigungsgebot gemäß geführt werden müsse. Vielmehr verlangt der in Art. 2 Abs. 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte von Anfang an mit Nachdruck alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfene Tat herbeizuführen (KG StV 2017, 458 [Ls.] m.w.N.).Höchstgrenze dar, aus der nicht der Schluss gezogen werden kann, dass das Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht dem Beschleunigungsgebot gemäß geführt werden müsse. Vielmehr verlangt der in Art. 2 Abs. 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte von Anfan...