Rdn 2691
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Haftprüfung durch das OLG, Allgemeines, Teil H Rdn 2626, und bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650.
Rdn 2692
1. Besondere Schwierigkeiten der Ermittlungen können sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht vorliegen. Beide Aspekte stehen häufig in Beziehung zueinander (SSW-StPO/Herrmann, § 121 Rn 61). Nicht eindeutig geklärt ist die Frage, ob das Prozessverhalten des Beschuldigten, selbst wenn es rechtsmissbräuchlich sein sollte, eine besondere Schwierigkeit i.S.d. § 121 darstellt. Das wird von der Lit. z.T. verneint (Schlothauer/Nobis u.a., Rn 918 ff., 930; SSW-StPO/Herrmann, a.a.O.), teilweise aber auch bejaht (Meyer-Goßner/Schmitt, § 121 Rn 17 und Rn 21; MAH-König, § 4 Rn 243; s.a. BVerfG NJW 2006, 677 ff.). M.E. wird man die Frage verneinen müsse, da andernfalls der Beschuldigte über die Haftfrage ggf. in seinem Prozessverhalten beeinflusst würde (KG StV 2015, 42; aber a. BGH, Beschl. v. 3.5.2019 – AK 15/19, NJW 2019, 2249; KG, Beschl. v. 7.5.2021 – 4 Ws 28–31721, StV 2022, 176; OLG Hamm StRR 2014, 449). I.Ü. ist hinzuweisen auf folgende Rechtsprechungsbeispiele:
Rdn 2693
2. Besondere Schwierigkeiten bejaht,
▪ |
bei Ermittlungen mit großem Aufwand auf internationaler Ebene (BGH, Beschl. v. 1.3.2007 – AK 1/07; s.a. EGMR NJW 2015, 3773), |
▪ |
bei schweren Straftaten, u.a. zweifacher Mord in Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen in der Türkei und einer dadurch bedingten Beweisaufnahme durch Rechtshilfeersuchen (EGMR, a.a.O. [U-Haft von fünf Jahren und sechs Monaten noch angemessen), |
▪ |
bei Ermittlungen im Obdachlosenmilieu (OLG Hamburg, Beschl. v. 20.11.2015 – 1 Ws 148/15), |
▪ |
bei Ermittlungen mit insgesamt neun Vernehmungen des Beschuldigten (BGH NStZ-RR 2010, 369 für Mitgliedschaft in einer [internationalen] terroristischen Vereinigung), |
▪ |
bei rechtlichen Besonderheiten der Tat (KK-Gericke, § 121 Rn 14), |
▪ |
bei schwieriger Beweisführung, weil z.B. wesentliche Zeugen nur schwer erreichbar sind oder umfangreiche SV-Gutachten benötigt werden (zur Beauftragung eines SV Teil H Rdn 2694; a. OLG Dresden StRR 2015, 114 und Beschl. v. 21.8.2015 – 2 Ws 353/15 für U-Haft von mehr als einem Jahr bzw. fast zwei Jahren; dazu SächsVerfGH, Beschl. v. 26.2.2015 – Vf. 7-IV-15 [HS]), |
▪ |
bei tatsächlichen Besonderheiten der Tat (KK-Gericke, a.a.O.). |
Rdn 2694
3. Besondere Schwierigkeiten verneint,
▪ |
wenn durch ein Adhäsionsverfahren Verzögerungen eintreten (Umkehrschluss aus OLG Celle StV 2007, 293), |
▪ |
wenn andere Straftaten aufgeklärt werden sollen, für die weder dringender Tatverdacht noch ein HB besteht (st. Rspr., zuletzt u.a. OLG Köln StV 2007, 321; OLG Naumburg StV 2007, 364; OLG Oldenburg StraFo 2006, 241; 2006, 410; StV 2009, 258; dazu a. KG, Beschl. v. 3.1.2017 – (4) 121 HEs 43/16, insoweit nicht in StV 2017, 458 [Ls.]; Beschl. 20.8.2018 – (4) HEs 28/18 (31/18), StV 2021, 187 [Ls.; keine Ermittlungen "aufs Geratewohl"]), |
▪ |
wenn in einem BtM-Verfahren etwa sechs Wochen lang ohne konkrete Anhaltspunkte allgemeine Ermittlungen zu möglichen BtM-Abnehmern des Beschuldigten durchgeführt werden (OLG Bamberg StV 2012, 363), |
▪ |
wenn Ermittlungshandlungen vorgenommen werden sollen, deren Erforderlichkeit in einem bereits länger dauernden Verfahren seit Jahren bekannt ist (OLG Celle StraFo 2010, 196), |
▪ |
wenn die Erstattung eines "Routinegutachtens" zu lange gedauert hat (OLG Nürnberg StraFo 2009, 148 [nicht vier Monate für Wirkstoffgutachten]), |
▪ |
wenn bei einem einfachen Sachverhalt 9 ½ Monate ermittelt wird (OLG Hamm StV 2013, 165; ähnlich OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.9.2018 – HEs 3 Ws 443/18, StraFo 2019, 22), |
▪ |
bei Fehlern in Zusammenhang mit der Beauftragung eines SV, und zwar
▪ |
wenn ein SV nicht unverzüglich beauftragt worden ist (u.a. BVerfG StV 2007, 644; StRR 2015, 113 für Strafvollstreckungsverfahren; KG StV 2015, 45; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2017 – 2 Ws (HEs) 63/07; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2010, 19 [Ls.; Gutachtenauftrag erst drei Monate nach Festnahme des geständigen Beschuldigten, obwohl sich das Gutachten von Anfang an aufdrängte]; OLG Hamm StV 1993, 205; StraFo 2006, 409; OLG Jena StV 1998, 560 [Gutachten zu §§ 20, 21 StGB erst neun Monate nach Kenntniserlangung von den maßgeblichen Umständen]; 2004, 318; OLG Karlsruhe StraFo 2010, 113 [Gutachten im einstweiligen Unterbringungsverfahren um vier, mindestens aber um zweieinhalb Monate zu spät]; NStZ-RR 2015, 379 [Ls; in einer Unterbringungssache wird kein Gutachten eingeholt]; OLG Naumburg StV 2013, 165 [Ls.; Beauftragung des SV erst in der HV]; OLG Oldenburg StraFo 2006, 410; AG Essen StV 1997, 142 [nicht rechtzeitige Bestimmung des Alters des – jugendlichen – Angeklagten]; s. aber OLG Hamm, Beschl. v. 17.5.2011 –1 Ws 218/11 [fehlende Bereitschaft des Beschuldigten zur Exploration]; zur zügigen SV-Beauftragung a. noch OLG Nürnberg StraFo 2014, 72), |
▪ |
wenn die Einholung eines SV-Gutachtens oder das Abwarten des Ergebnisses nicht zwingend war (OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2007 – 2 Ws (HEs) 63/07... | |