Leitsatz
Der Geschäftsführer einer GmbH hatte es versäumt, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Nach Eintritt der Insolvenreife hatte er vielmehr noch Löhne und Gehälter gezahlt, nicht jedoch den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung abgeführt, was gemäß §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar ist.
Der Geschäftsführer wurde nunmehr auf Schadensersatzzahlung in Höhe der nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. § 64 Abs. 1 GmbHG in Anspruch genommen. Entgegen dem Landgericht wies das OLG Naumburg die Klage ab, ließ jedoch die Revision zum BGH zu.
Hinweis
Der Geschäftsführer einer GmbH steckt nach Eintritt der Insolvenzreife in einer Zwickmühle: §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB verlangen die Abführung von Sozialabgaben und der 5. Strafsenat des BGH hat die gesetzlichen Sanktionen bei Verstößen gnadenlos durchgesetzt. § 64 Abs. 2 GmbHG verbietet hingegen jede Auszahlung und der 2. Zivilsenat des BGH hat bis vor kurzem darauf bestanden, dass die Sozialkassen kein privilegierter Gläubiger sind, d.h. die Abführung der Sozialabgaben zur Haftung des Geschäftsführers führt. Hieraus gab es bis zur Entscheidung des BGH vom 14.5.2007 (II ZR 48/06) nur ein Entkommen - die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags. Die besagte Entscheidung des BGH hat die Zwangslage etwas entschärft, da die Abführung des Arbeitnehmeranteils nunmehr als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar gilt und eine Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbH nicht mehr droht (siehe auch die Kommentierung zu der Entscheidung des BGH vom 14.5.2007).
Der vorliegende Sachverhalt betrifft im Verhältnis zum BGH-Urteil vom 14.5.2007 die entgegen gesetzte Konstellation - der Geschäftsführer hat die Sozialabgaben nicht abgeführt und wird deshalb aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. § 64 Abs. 1 GmbHG in Anspruch genommen.
Im Hinblick auf den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG verneint das OLG Naumburg sogar einen Schaden, da nicht dargelegt worden sei, dass bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung Sozialabgaben aus der Insolvenzmasse gezahlt worden wären. Ob es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung aufgrund unzureichender Substantiierung oder eine allgemeine rechtliche Wertung handelt, wird vom Gericht nicht eindeutig ausgeführt; vielleicht wird das zu erwartende BGH-Urteil diesen Punkt erhellen. Grundsätzlich ist ein Schaden aber vorstellbar, denn Löhne und Gehälter hatte der Geschäftsführer noch gezahlt; diese Beträge hätten (wenigstens zum Teil) auch den Sozialkassen zugute kommen können, wobei Besonderheiten des Insolvenzrechts (z.B. Möglichkeit der Insolvenzanfechtung) eine Rolle spielen können.
Insbesondere stellt das OLG Naumburg jedoch auf ein fehlendes Verschulden des Geschäftsführers ab. Dieser habe sich in der oben geschilderten Pflichtenkollision zwischen §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB einerseits und § 64 Abs. 2 GmbHG andererseits befunden. Dabei folgt das OLG der früheren Rechtsprechung des 2. Zivilsenats, dass die Zahlungsansprüche der Sozialkassen nicht privilegiert seien und gelangt hierüber zu einem fehlenden Verschulden.
Es bleibt abzuwarten, ob der BGH angesichts der geänderten Rechtsprechung des 2. Zivilsenats dieser Wertung folgt. Zwingend ist dies nicht mehr. Denn einerseits ist der Geschäftsführer bei Abführung des Arbeitnehmeranteils nicht mehr von der Haftung des § 64 Abs. 2 GmbHG bedroht, so dass keine unauflösliche Pflichtenkollision besteht. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass der BGH zwar die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge an die Sozialkassen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar ansieht, angesichts des Zwecks von § 64 GmbH (der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger) hieraus aber keine zivilrechtliche Pflicht ableitet, d.h. die Sozialkassen weiterhin nicht als privilegierte Gläubiger einstuft.
Unabhängig von der Entscheidung des BGH kann der Rat an alle Geschäftsführer nur lauten, in Krisensituationen sorgfältig die Insolvenzvoraussetzung zu prüfen bzw. von einem Sachverständigen prüfen zu lassen und ggf. rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Anderenfalls drohen vielfältige Haftungsansprüche, die auch die neuere Rechtsprechung des BGH nicht ausschließen, wie u.a. der vorliegende Fall zeigt.
Link zur Entscheidung
OLG Naumburg, Urteil vom 09.05.2007, 5 U 21/07