Zusammenfassung
Leisten Geschäftsführer einer GmbH durch Rechnungssplitting vorsätzlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung eines Kunden, kann die GmbH für die Steuerschulden des Kunden in Anspruch genommen werden. Ein Haftungsausschluss kommt nicht in Betracht, wenn die GmbH durch die Steuerhinterziehung den Vermögensvorteil einer Kundenbindung erlangt hat und sich für die Geschäftsführer nicht entlasten kann.
Hintergrund
Der Insolvenzverwalter einer GmbH klagte gegen einen Haftungsbescheid, mit dem die GmbH für Steuerschulden eines Kunden in Anspruch genommen wurde. Der Kunde war Imbissbetreiber und wurde einige Jahre von der GmbH beliefert. Der Gesellschafter-Geschäftsführer und ein faktischer Geschäftsführer ermöglichten dem Imbissbetreiber durch ein sog. Rechnungssplitting nur einen Teil der tatsächlich getätigten Wareneinkäufe und damit auch nur einen Teil der erzielten Erlöse in seiner Buchführung und der Steuererklärung anzugeben. Beide Geschäftsführer wurden wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung rechtskräftig zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Da der Imbissbetreiber zahlungsunfähig war, nahm der Beklagte neben den Geschäftsführern auch die GmbH auf Zahlung der Steuerschulden in Anspruch.
Das FG Münster bestätigte die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Nach § 70 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) haften Gesellschaften auch soweit sie nicht Steuerschuldner sind für den hinterzogenen Steuerbetrag oder für zu Unrecht gewährte Steuervorteile, wenn ihre Geschäftsführer bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer solchen teilnehmen. Dadurch sollen Steuerausfälle verhindert werden, wenn hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge nicht vom Steuerschuldner oder den Vertretern hereingeholt werden können. Die Abrechnung von Lieferungen sei wesentlicher Teil des Geschäfts einer Vertriebs-GmbH und Aufgabe der Geschäftsführer, so dass diese die unstreitig geleistete Beihilfe zur Steuerhinterziehung auch in Ausübung ihrer Obliegenheiten begingen.
Die Haftung der Gesellschaft war auch nicht nach § 70 Abs. 2 AO ausgeschlossen. Danach entfällt eine Haftung, wenn der Vertretene aus der Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und sich durch sorgfältige Auswahl und Beaufsichtigung desjenigen, der die Steuerhinterziehung bzw. die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, entlasten kann. Beides war nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben. Ein Vermögensvorteil i.S. des § 70 Abs. 2 Satz 1 AO sei bereits die durch die Beihilfe zur Steuerhinterziehung erlangte Kundenbindung. Da der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter war, kam auch eine Entlastung wegen sorgfältiger Auswahl und Beaufsichtigung nicht in Betracht. Denn die Person, die als Geschäftsführer Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet habe, könne die GmbH nicht gleichzeitig in ihrer Eigenschaft als überwachender Gesellschafter entlasten.
Nicht nur die Steuerhinterziehung im eigenen Unternehmen, sondern auch die Teilnahme an Manipulationen, mit denen Dritte Steuern hinterziehen, können Unternehmen und Geschäftsleitung teuer zu stehen kommen. Lassen sich Steueransprüche dann nicht beim Steuerschuldner realisieren, kann das Finanzamt sich anderweitig schadlos halten. Für Steuerschulden des Unternehmens kann der Fiskus bei Vorliegen einer Pflichtverletzung die Geschäftsführer einer GmbH bzw. die Vorstände einer AG persönlich in Anspruch nehmen, § 69 AO. Für Steuerhinterziehungen Dritter haften nach § 71 AO Geschäftsführer, Vorstände, Prokuristen, Steuerberater etc., wenn sie daran mitgewirkt haben. Und schließlich haftet nach § 70 AO das Unternehmen, das sich die durch ihre Vertreter geleistete Beihilfe zur Steuerhinterziehung Dritter zurechnen lassen muss.
Haftungsrelevant sind aber nicht nur Steuervergehen, sondern auch Bestechung, schwarze Kassen, Verstöße gegen Kartellrecht, Exportkontrollrecht, Datenschutzrecht, Produktsicherheit, Arbeitsschutzvorschriften und Zollvorschriften. Und nach § 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) handelt ordnungswidrig, "wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist", wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Bei Verstößen drohen Unternehmen empfindliche Geldbußen. Dem sollten Unternehmen durch funktionierende Kontrollmechanismen begegnen. Die Geschäftsleitung jedes Unternehmens sollte deshalb ein Compliance-System einrichten, das dafür sorgt, dass das Unternehmen und seine Mitarbeiter keine Gesetzesverletzungen begehen.