Leitsatz
Der BGH hat für eine GmbH in Liquidation entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Haftung der Gesellschafter nach den Grundsätzen des existenzvernichtenden Eingriffs oder wegen Verstoßes gegen das Gebot zur Erhaltung des Stammkapitals besteht.
Sachverhalt
Im Rahmen der Liquidation veräußerten die Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH die gesamte Geschäftsausstattung zu einem Kaufpreis unterhalb des Buchwertes. Die Gesellschafter gründeten sodann wiederum eine weitere Gesellschaft, die diese Geschäftsausstattung gemäß einem - mit der Käuferin geschlossenen - Leasingvertrag nutzte. Einige Zeit später beantragten die Gesellschafter-Geschäftsführer die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der in Liquidation befindlichen GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit. Der klagende Insolvenzverwalter war der Auffassung, dass der Verkauf der Geschäftsausstattung einen existenzvernichtenden Eingriff in das Vermögen der GmbH darstellt und machte Schadensersatz geltend.
Die Gesellschaft hatte ihren Gesellschaftern ferner Darlehen gewährt. Es standen Rückzahlungsansprüche aus diesen Darlehen in Höhe von rund 250.000,00 EUR offen. Aufgrund der fehlenden Solvenz der Gesellschafter hätten diese nicht mit dem vollen Nennwert in die Handelsbilanz eingestellt werden dürfen. Aufgrund dieses Wertberichtigungsbedarfs war der Insolvenzverwalter der Auffassung, dass eine nachfolgende Gewinnausschüttung zu einer Unterbilanz geführt und damit gegen das Gebot zur Erhaltung des Stammkapitals (§§ 30, 31 GmbHG) verstoßen habe.
Entscheidung
Der BGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein existenzvernichtender Eingriff, der zum Schadensersatz nach § 826 BGB verpflichtet, dann vorliegt, wenn der Gesellschaft von ihren Gesellschaftern in sittenwidriger Weise das zur Tilgung ihrer Schulden erforderliche Vermögen entzogen und damit die Insolvenz verursacht wird. Aus zwei tatsächlichen Gründen bestand dieser Anspruch in diesem Fall nicht: Erstens, hatte der Kläger nicht vorgetragen, dass die Liquidation im Zeitpunkt des Verkaufs der Geschäftsausstattung wirtschaftlich aussichtlos und daher die Insolvenz absehbar gewesen sei. Zweitens, genüge der Vortrag, die Geschäftsausstattung sei für einen Kaufpreis unterhalb des Buchwerts verkauft worden, nicht. Stattdessen sei allein maßgeblich, ob der Verkauf "unter Wert" (d.h. unter dem im Zeitpunkt des Verkaufs erzielbaren Marktpreis) erfolgt sei.
In Bezug auf die Haftung gemäß §§ 30, 31 GmbHG stellte der BGH klar, dass Rückzahlungsansprüche aus Darlehen gegen die Gesellschafter in der Handelsbilanz mit ihren wahren Werten zu aktivieren sind. In diesem Fall sei der Darlehensrückzahlungsanspruch nach allgemeinen bilanzrechtlichen Regeln in seinem Wert zu berichtigen gewesen. Aufgrund dieser Wertberichtigung führte die nachfolgende Gewinnausschüttung zu einer Unterbilanz und damit zu einem Anspruch der GmbH gegen die Gesellschafter auf Erstattung der - zu Unrecht - gewährten Gewinnausschüttung. Dies hatte zur Folge, dass die Gesellschafter i) zur Rückzahlung der Darlehen und ii) zur Erstattung der Gewinnausschüttung gemäß §§ 30, 31 GmbHG verpflichtet waren. Dass die Gesellschafter später die Darlehensrückzahlungsansprüche erfüllten, ließ daher konsequenterweise den Erstattungsanspruch der GmbH unberührt.
Hinweis
Obwohl sich die GmbH in dem zu entscheidenden Fall bereits in Liquidation befand und die Verlagerung des Geschäftsbetriebs auf eine von den gleichen Gesellschaftern gegründete Gesellschaft den Schluss auf eine "Selbstbedienung" im Sinne der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriff nahelegt, wurde eine Haftung der Gesellschafter verneint. Diese Umstände vermindern also die Darlegungslast des klagenden Insolvenzverwalters nicht; im Ergebnis hatte der klagende Insolvenzverwalter hierzu schlicht nicht ausreichend vorgetragen.
Im Rahmen des Gebots zur Erhaltung des Stammkapitals (§§ 30, 31 GmbHG) ist fortlaufend nach allgemeinen bilanzrechtlichen Regeln zu prüfen, ob Ansprüche gegen die Gesellschafter ggfs. in ihrem Wert zu berichtigen sind. Dies begründet - im Fall einer Insolvenz der GmbH - ein erhebliches Risiko, dass nachträglich für einen bestimmten Zeitpunkt ein Wertberichtigungsbedarf festgestellt wird und dann zeitlich nachfolgende Zahlungen an den Gesellschafter als Verstoß gegen § 30 GmbH gewertet werden. Daher ist bei Zahlungen an die Gesellschafter - nicht nur bei der GmbH in Liquidation - genau zu prüfen, ob durch eine Zahlung eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird. Das Risiko hätte in diesem Fall z.B. vollständig vermieden werden können, indem i) die Gesellschafter vor der Gewinnausschüttung ein Bankdarlehen aufgenommen hätten (sofern möglich), um das Darlehen der Gesellschaft zurück zu führen, und ii) die dann zulässigerweise im Wege der Gewinnausschüttung erhaltenen Beträge dann dazu verwendet hätten, die Bankdarlehen zurück zu zahlen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 23.04.2012, II ZR 252/10