Leitsatz
Die von dem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH im Einverständnis mit seinem einzigen Mitgesellschafter unterlassene Beaufsichtigung dieses Gesellschafters, der von Kunden der GmbH empfangene Schecks veruntreut, stellt keine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG dar.
Sachverhalt
Der Kläger war Mandant der E-Steuerberatungs-GmbH. Deren Alleingeschäftsführer war der Beklagte, der 5 % ihres Stammkapitals hielt. Die restlichen 95 % hielt W.B., der – anders als der Beklagte – kein zugelassener Steuerberater war, aber den Kläger als Mandanten der GmbH betreute. Am 17.1.1996 beschlossen die Gesellschafter "einstimmig" die Beendigung des Geschäftsführeramts des Beklagten zum 31.1.1996. Zugleich wurde ihm Entlastung erteilt mit dem Zusatz: "Er übernimmt keine Haftung für irgendwelche Angelegenheiten, die die GmbH betreffen bzw. betrafen. Dafür steht der Gesellschafter W.B. in Pflicht, was dieser mit seiner Unterschrift bestätigt". Unter dem 17.12.1997 erkannte W.B. in einer notariellen vollstreckbaren Urkunde an, dem Kläger aus ihm von diesem in der Zeit von März 1994 bis September 1997 übergebenen Schecks den Gesamtbetrag von 104184,50 DM (nebst Zinsen) zu schulden. Mit Anwaltsschreiben vom 2.3.1998 nahm der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz wegen vier dieser Schecks aus der Zeit von März bis September 1995 mit der Begründung in Anspruch, dass der Beklagte infolge Verletzung seiner Aufsichtspflicht als Geschäftsführer und verantwortlicher Steuerberater die Veruntreuung der zur Weiterleitung an das Finanzamt bestimmten Schecks durch W.B. ermöglicht habe. Im Juli 2000 erwirkte der Kläger gegen die inzwischen in Liquidation befindliche E-Steuerberatungs-GmbH einen Zahlungstitel wegen neun angeblich veruntreuter Schecks aus der Zeit vom 7.3.1994 bis 13.3.1996 in Höhe von insgesamt 75336,50 DM (nebst Zinsen) und ließ daraufhin angebliche Schadensersatzansprüche der E-Steuerberatungs-GmbH i.L. gegen den Beklagten aus § 43 Abs. 2 GmbHG pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Diese Ansprüche macht der Kläger – neben solchen aus eigenem Recht – gegen den Beklagten geltend. Die Klage blieb erfolglos.
Entscheidung
Nach Auffassung des BGH ist in der unterlassenen Beaufsichtigung des Mitgesellschafters durch den Beklagten keine Pflichtverletzung gegenüber der GmbH zu sehen. Der Beklagte und der Mitgesellschafter, also alle Gesellschafter, haben nach den Feststellungen des Gerichts offensichtlich einverständlich auf eine solche Beaufsichtigung verzichtet. Nach der Rechtsprechung wird der Wille einer GmbH im Verhältnis zu ihrem Geschäftsführer grundsätzlich durch denjenigen ihrer Gesellschafter repräsentiert. Ein Handeln oder Unterlassen des Geschäftsführers im – auch konkludenten – Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern stellt daher grundsätzlich keine haftungsbegründende Pflichtverletzung im Sinne von § 43 Abs. 2 GmbHG dar.
Ansprüche würden auch dann nicht bestehen, wenn in den Scheckveruntreuungen durch W.B. eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen an ihn zu sehen und dem Beklagten über die unterlassene Beaufsichtigung W.B. hinaus eine Mitwirkung an dieser Auszahlung zur Last zu legen wäre. Denn auch eine Auszahlung von Gesellschaftsvermögen ist bei Einverständnis sämtlicher Gesellschafter nicht als Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft zu werten, soweit die Dispositionsbefugnis der Gesellschafter gegenüber der GmbH reicht. Anders ist die Sache nur dann zu beurteilen, wenn die gesetzlichen Grenzen überschritten werden oder ein existenzvernichtender Eingriff bejaht werden muss. Dies war für das Gericht im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Die Richter halten überdies fest, dass selbst dann, wenn ursprünglich Schadensersatzansprüche der GmbH bestanden hätten, diese jedenfalls erloschen wären. Denn dem Beklagten ist durch den Gesellschafterbeschluss vom 17.1.1996 umfassende Entlastung für seine bisherige Geschäftsführertätigkeit erteilt worden. Darüber hinaus wurde durch diese Erklärung auf jegliche Haftung des Beklagten gegenüber der GmbH "für irgendwelche Angelegenheiten, die die GmbH betrafen", verzichtet. Der BGH sieht keine Hinweise darauf, dass dieser entlastende Beschluss unwirksam oder gar nichtig gewesen sein könnte.
Praxishinweis
In derartigen Fällen verbleibt dem Geschädigten lediglich der unmittelbare Haftungsanspruch gegen den Täter aus unerlaubter Handlung. Eine deliktische Außenhaftung des Beklagten gegenüber dem Kläger gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen der möglichen Verletzung seiner Aufsichts- und Kontrollpflichten aus den Vorschriften über die eigenverantwortliche Ausübung des Steuerberaterberufes hat der BGH in der Entscheidung gleichermaßen mit dem Hinweis abgelehnt, dass diese Normen jedenfalls keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 07.04.2003, II ZR 193/02