LfSt Rheinland-Pfalz v. 28.9.2016, S 0201 A - St 35 2
Die Verfahrenshandlungsfähigkeit natürlicher Personen knüpft an die Vorschriften des BGB über die Geschäftsfähigkeit an, ohne diesen voll zu entsprechen.
Die Handlungsfähigkeit ist Verfahrenshandlungs- und Sachentscheidungvoraussetzung (Doppelfunktion). Als Verfahrenshandlungsvoraussetzung ist die aktive und passive Handlungsfähigkeit eine zwingende Voraussetzung für die wirksame Vornahme und Entgegennahme von Verfahrenshandlungen.
Sie muss im Zeitpunkt der Vornahme oder Entgegennahme der einzelnen Verfahrenshandlungen gegeben sein und ist von Amts wegen zu prüfen, da Verfahrenshandlungen handlungsunfähiger Personen unwirksam sind.
1. Unbeschränkte Handlungsfähigkeit § 79 Abs. 1 Nr. 1 AO
Natürliche Personen die nach bürgerlichem Recht unbeschränkt geschäftsfähig sind, sind im Verwaltungsverfahren voll handlungsfähig. Geschäftsfähig sind danach alle natürlichen Personen, die volljährig (§ 2 BGB) und weder geschäftsunfähig (§ 104 BGB) noch beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB) sind.
Ausnahmen gelten hier allerdings für geschäftsfähige natürliche Personen, die im Besteuerungsverfahren durch einen Betreuer (§ 1896 ff. BGB) oder einen Pfleger (§§ 1911, 1913 BGB) vertreten werden sowie für den Fall, dass bei einem Betreuungsverhältnis ein sog. Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) angeordnet ist.
2. Partielle Handlungsfähigkeit § 79 Abs. 1 Nr. 2 AO
Werden beschränkt geschäftsfähige natürliche Personen (§ 106 BGB) durch spezielle Vorschriften des BGB für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig (z.B. §§ 112, 113 BGB) anerkannt, sind sie in diesem Rahmen ausnahmsweise voll geschäfts- und verfahrenshandlungsfähig.
3. Gesetzliche Vertretung
3.1 Vormundschaft Minderjähriger
Die Voraussetzungen für eine Vormundschaft ergeben sich aus den §§ 1773 ff. BGB. Der Vormund tritt hierbei in die Rechtsstellung der Eltern ein. Er hat grundsätzlich die gesamte elterliche Sorge, d.h. die Personen- und die Vermögenssorge zu tragen. Die Bestellung des Vormunds erfolgt durch das Familiengericht (§ 1789 BGB). Der Vormund erhält zu Nachweiszwecken seiner Rechtsstellung eine Bestallungsurkunde (§ 1791 BGB).
3.2 Ergänzungspflegschaft Minderjähriger
Im Gegensatz zur Vormundschaft, die sowohl die Personen- als auch die Vermögenssorge umfasst, dient die Pflegschaft Minderjähriger nur dem Schutz eines begrenzten Kreises von Angelegenheiten (§§ 1909 ff. BGB) und schränkt insoweit den Wirkungskreis des Ergänzungspflegers ein. Der Ergänzungspfleger ist gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen, aber immer nur partiell soweit sein Wirkungskreis reicht.
Für die Ergänzungspflegschaft gelten grundsätzlich die Vorschriften über die Vormundschaft (§ 1915 BGB). Die Bestellung des Ergänzungspflegers erfolgt durch das Familiengericht durch eine entsprechende Bestallungsurkunde. Aus der Urkunde ergibt sich der Wirkungskreis.
3.3 Betreuung Volljähriger
Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 BGB). Der Betreuer ist damit gesetzlicher Vertreter. Die Vertretung reicht jedoch auch hier nur soweit, wie der Aufgabenkreis durch das Betreuungsgericht vorgegeben wird (§§ 1896 Abs. 2, 1902 BGB) und ergibt sich aus der Bestellungsurkunde (§ 290 Satz 2 Nr. 3 FamFG).
Die vom Gericht ausgestellte Bestallungsurkunde bzw. Bestellungsurkunde ist dahingehend zu prüfen, ob hierin die uneingeschränkte Vermögenssorge oder auch nur die gezielte Vertretung vor den Finanzbehörden angeordnet wurde, denn nur in diesen Fällen hat der Vertreter die steuerlichen Pflichten des Vertretenen zu erfüllen und ist sein gesetzlicher Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO. Ist der Wirkungskreis dahingehend eingeschränkt, dass z.B. die Vermögenssorge nicht in der Urkunde angeordnet wird, ist der Vertreter kein gesetzlicher Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO.
Die Geschäftsunfähigkeit ist für die Anordnung einer Betreuung nicht erforderlich, vielmehr kommt es lediglich auf die Fähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten an.
Die Anordnung der Betreuung hat auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten keinen Einfluss (BFH-Beschluss vom 10.5.2007, VIII B 125/06, BFH/NV 2007 S. 1630). Der Betroffene bleibt somit grundsätzlich selbst geschäftsfähig, sofern er nicht nach § 104 BGB geschäftsunfähig ist.
Ist der Betreute geschäftsfähig und damit handlungsfähig, so tritt innerhalb des Wirkungskreises des Betreuers eine Doppelzuständigkeit ein (BFH-Beschluss vom 10.5.2007a.a.O.), wodurch es zu einander widersprechenden Rechtsgeschäften und Prozesshandlungen von Betreuer und Betreutem kommen kann.
Ausnahmen:
Der Grundsatz der Doppelzuständigkeit wird in zwei Fällen zugunsten des Betreuers durchbrochen. Das hat zur Folge, dass nur der Betreuer Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen und entgegennehmen kann und widersprechende ...