1 Leitsatz
Auch eine lebensbedrohliche Tierhaar-Allergie eines Wohnungseigentümers zwingt nicht zum Erlass eines generellen Tier- oder Felltierhaltungsverbotes.
2 Normenkette
§§ 19 Abs. 1, 44 Abs. 1 Satz 2 WEG
3 Das Problem
Nach einer im Mai 2004 beschlossenen Hausordnung ist die Tierhaltung in der Wohnungseigentumsanlage X verboten. Im August 2021 beschließen die Wohnungseigentümer wie folgt: "Die Haltung von Haustieren ist nicht generell verboten, allerdings ist jeder Wohnungseigentümer in demjenigen Fall, dass er Haustiere hält, verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie in den Außenanlagen, im Haus sowie in der Tiefgarage nicht frei herumlaufen sowie die im Sondernutzungsrecht stehenden Anteile, sämtliches Sondereigentum, Wohnungen und Gartenanteile anderer Wohnungseigentümer nicht betreten können". Dagegen gehen die Wohnungseigentümer K1 und K2 vor. K1 gibt an, er sei hoch allergisch gegen Allergene von Felltieren, was für ihn aufgrund von Vorerkrankungen lebensbedrohlich sei. Er habe im Vertrauen auf den Fortbestand des absoluten Tierhalteverbots in der bisherigen Hausordnung sein Wohnungseigentum erworben. K2 ergänzt, für sie komme es nicht einmal infrage, dass Felltiere wie Hunde und Katzen ausschließlich in den Wohnungen gehalten würden, weil es für eine allergische Reaktion bei ihr ausreichend sei, dass Personen mit tierallergenkontaminierter Kleidung durch das Treppenhaus gingen.
4 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat keinen Erfolg! Der Beschluss sie formal ordnungsmäßig und auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Er widerspreche insbesondere nicht ordnungsmäßiger Verwaltung. Soweit, wie hier, keine vorrangige Vereinbarung bestehe, hätten die Wohnungseigentümer bei der Ausgestaltung, Aufstellung und Änderung einer Hausordnung einen Ermessens- (besser: Beurteilungs-)spielraum. Dieses Ermessen bestehe nicht nur hinsichtlich des "Ob" einer Aufstellung, sondern nur hinsichtlich des "Wie" der Art und des Umfanges der Ausgestaltung der Hausordnung. Dabei sei zu beachten, dass Adressat der Hausordnung alle Wohnungseigentümer (und Dritte) seien, sodass alle schützenswerten Interessen zu berücksichtigen seien und die Hausordnung dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen zu entsprechen habe. Neben den Interessen der Wohnungseigentümer seien auch die Besonderheiten der Wohnungseigentumsanlage, deren Größe und Zuschnitt zu berücksichtigen. Vertretbare Entscheidungen innerhalb des Rahmens seien von den Gerichten hinzunehmen, auch wenn sie zur Auslegung des Begriffs der Ordnungsmäßigkeit befugt seien. Das Gericht sei grundsätzlich nicht befugt, eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Wohnungseigentümer zu setzen, sondern lediglich dazu, einen Beschluss auf Wirksamkeit zu prüfen. Nach diesen Maßgaben sei der Beschluss nicht zu bestanden. Mit ihm kehre die Hausordnung zum gesetzlichen Leitbild zurück: Enthalte die Gemeinschaftsordnung keine Regelungen über die Tierhaltung und hätten die Wohnungseigentümer hierüber keine Beschlüsse gefasst, so sei jeder Wohnungseigentümer zur Tierhaltung berechtigt. Es kämen zwar auch weitergehende Beschränkungen in Betracht. Im Sinne eines Maximalziels verlangten die Kläger insoweit die Rückkehr zum bisherigen absoluten Tierhaltungsverbot bzw. verlangten zumindest ein Felltierhaltungsverbot. Das Ermessen der Wohnungseigentümer habe sich aber nicht in diesem Sinne auf Null reduziert. Auch der Gedanke, dass nur ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Hinweis auf LG Frankfurt a. M., Urteil v. 9.3.2023, 2-13 S 89/21, ZMR 2023 S. 814) hätte geregelt werden dürfen, trage nicht. Dies hätte zwar den Vorteil, dass sich dann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit jeder Sonderkonstellation im Einzelnen auseinandersetzen könnte. Andererseits würde dies die beschriebenen Erschwernisse auf die Ebene des Einzelfallbeschlusses verlagern. Es bleibe den Klägern unbenommen, aus der Betroffenheit eigener Rechte (insbesondere ihrer Gesundheit, gepaart mit Aspekten des Vertrauensschutzes) in individuellen Prozessen die betreffenden Wohnungseigentümer auf Unterlassung der Tierhaltung in Anspruch zu nehmen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Änderung einer Hausordnung, die die Wohnungseigentümer beschlossen haben. Liegt es so, ist die Hausordnung also nicht vereinbart, können die Wohnungseigentümer im Wege des Zweit-Beschlusses andere als die zunächst beschlossenen Regelungen treffen. Im Fall geht es um die Tierhaltung. Diese soll jetzt wieder erlaubt sein.
Zweit-Beschluss und Ordnungsmäßigkeit
Nach herrschender Meinung kann jeder Wohnungseigentümer nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG verlangen, dass ein Zweit-Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtigt. Die dabei einzuhaltenden Grenzen sollen sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Verfolgt man die bekannt gewordenen Entscheidungen auf ihren Kern zurück, sind vor allem fünf Prüfsteine für die Annahme schutzwürdiger Belange gefunden worden: wenn ein Wohnungseigentümer durch den Zweit-Beschluss einen rechtlichen Nacht...