Leitsatz

Eigentümerbeschluss auf Hausverbotserteilung gegenüber störendem Besucher einer kranken Wohnungseigentümerin hält verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht stand

 

Normenkette

Art. 13, 14 Abs. 1 Satz 1 GG; § 14 WEG

 

Kommentar

I. Zum Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin als Wohnungseigentümerin litt an schizoaffektiver Psychose, was sich durch zeitweiliges Weinen, Schreien und Hilferufen äußerte. Sie benötigte – auch aus medizinischer Sicht – dringend die Unterstützung ihres Lebensgefährten als Kontaktperson, der sie regelmäßig besuchte und in ihrer Wohnung übernachtete. Dabei kam es bewiesenermaßen immer wieder zu erheblicher Störung der Nachtruhe der anderen Miteigentümer, die deshalb den Beschluss fassten, dem Lebensgefährten uneingeschränktes Hausverbot zu erteilen.

Die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Beschlusses einschließlich hilfsweiser Anfechtungsklage wurde vom AG Mainz als unbegründet abgewiesen; die restlichen Eigentümer hätten von ihrem Abwehranspruch nach § 1004 BGB zu Recht Gebrauch gemacht.

Die von der Beschwerdeführerin dagegen eingelegte Berufung wies das LG Koblenz als Einzelfallsache mit dem Vermerk "ohne grundsätzliche Bedeutung" zurück.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 13, 14, 2 Abs. 1, auch i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und hatte damit Erfolg.

II. Die Leitsätze dieser Entscheidung:

    1. Die dem Grundeigentümer nach Art. 14 Abs. 1 GG zugeordnete Befugnis, die Nutzung aufgrund eigenverantwortlicher Entscheidung selbst zu bestimmen (vgl. BVerfG 1998 S. 17, 35), umfasst vor allem auch das Recht des Eigentümers darüber zu entscheiden, ob eine Überlassung der Nutzung an Dritte oder eine gemeinschaftliche Nutzung mit Dritten erfolgt (vgl. zur Vermietung BVerfG 1995 S. 64, 83 = ZMR 1997 S. 117, 123).
    2. Soweit die Fachgerichte (hier: Wohnungseigentumsgerichte) durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften gebunden sind, ist die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, allerdings erst erreicht, wenn die Auslegung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, vor allem vom Umfang ihres Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfG v. 16.1.2004, ZMR 2004 S. 566, 568).
    1. Die weitgehende Freiheit des Wohnungseigentümers zur Verfügung und Nutzung seines im Sondereigentum stehenden Wohnungseigentums (§ 13 Abs. 1 WEG) findet eine einfachrechtliche Grenze in § 14 WEG, der als Grundnorm des innergemeinschaftlichen Nachbarrechts eine notwendige Schranke bildet.
    2. Verursacht ein Wohnungseigentümer erhebliche Nachteile i.S.d. § 14 Nr. 1 WEG, kann er oder ein Dritter, der das Sondereigentum störend nutzt, von jedem Wohnungseigentümer nach § 15 Abs. 3 WEG oder § 1004 BGB auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
    3. Bei der Auslegung und Anwendung des Nachteilsbegriffs des § 14 Nr. 1 WEG sind die Gerichte gehalten, die widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG v. 16.1.2004, ZMR 2004 S. 566, 568).
    4. Ein Konflikt zwischen dem Wohnungseigentümer, der – durch die Eigentumsgarantie geschützt – Adressat eines Unterlassungsgebots ist, und dem ebenfalls durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Recht der übrigen Wohnungseigentümer auf ungestörte Nutzung ihres eigenen Wohnungseigentums, muss im konkreten Einzelfall nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz fallbezogen gelöst werden. Dabei kann nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt behandelt werden. Vielmehr haben alle betroffenen Rechte einen möglichst schonenden Ausgleich zu erfahren (BVerfG 1981 S. 278, 292).

      Soweit das Sondereigentum eines einzelnen Wohnungseigentümers betroffen ist, untersagt der Grundsatz der praktischen Konkordanz weitergehende Eingriffe als dies zur Herstellung einer ungestörten Nutzung des Sondereigentums der übrigen Wohnungseigentümer notwendig ist.

    5. Der einfachrechtliche Anspruch aus § 1004 BGB kann nur auf Unterlassung der Störung und nicht auf das Verbot oder Gebot bestimmten Verhaltens gerichtet sein. Dem Störer muss grundsätzlich selbst überlassen bleiben, welche Mittel er einsetzt, um den Anspruch zu erfüllen (vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 28.1.2004, NJW-RR 2004 S. 662, 664). Etwas anders kann allenfalls dann gelten, wenn lediglich eine konkrete Handlung oder Unterlassung geeignet ist, das störende Verhalten abzustellen (vgl. BGH v. 12.12.2003, NJW 2004 S. 1035).
  1. Hier also: Fachgerichtliche Bestätigung des durch eine Wohnungseigentümerversammlung gegenüber dem Besucher einer Wohnungseigentümerin ausgesprochenen Hausverbots, ohne dass im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden dem Eigentumsrecht der Wohnungseigentümerin und im Zusammenhang damit auch ihrem Grundrecht aus Art. 13 A...

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