Leitsatz

  1. Ein "anderer zwingender Grund" i. S. d. § 9a Abs. 1 S. 1 HeizkostenV liegt auch dann vor, wenn der anteilige Verbrauch eines Nutzers infolge eines Ablesefehlers nicht ordnungsgemäß festgestellt werden kann.
  2. Ist eine Vergleichsberechnung nach § 9a HeizkostenV nicht möglich, weil die hierfür erforderlichen Daten nicht zur Verfügung stehen, so kann der anteilige Verbrauch ausnahmsweise im Wege der Gradtagszahlmethode ermittelt werden.
  3. Eine unter diesen Voraussetzungen erstellte Kostenabrechnung kann vom Nutzer nicht gemäß § 12 HeizkostenV um 15 % gekürzt werden.

(amtlicher Leitsatz des BGH)

 

Normenkette

HeizkostenV § 9a

 

Kommentar

Die Heizkörper der Wohnung waren mit elektronischen Messgeräten ausgestattet. Über ein Display konnten jeweils zwei Werte abgelesen werden, nämlich zum einen der aktuelle Verbrauch und zum anderen der gespeicherte Wert des Verbrauchs zum 31. Dezember. Dieser Jahresendwert wurde jeweils durch den Jahresendwert des Folgejahres überschrieben. Der Mitarbeiter der Messfirma hat die Geräte zum Zwecke der Erstellung einer Heizkostenabrechnung für das Kalenderjahr 1998 am 23.3.1999 abgelesen. Dabei hat er versehentlich nicht den Jahresendwert zum 31.12.1998, sondern den Wert zum 23.3.1999 notiert. Auf dieser Basis wurde die Heizkostenabrechnung erstellt. Abgerechnet wurden somit die Heizkosten für die Zeit vom 1.1.1998 bis zum 23.3.1999. Der Fehler wurde im Januar 2000 bemerkt. Zu diesem Zeitpunkt war der Jahresendwert 1998 bereits durch den Jahresendwert 1999 überschrieben. Eine Rekonstruktion des Jahresendwerts 1998 war nicht möglich. Der Jahresendwert 1998 wurde daraufhin durch Schätzung ermittelt: Der am 23.3.1999 abgelesene Wert wurde mittels der sog. Gradtagszahlmethode auf den 31.12.1998 zurückgerechnet. Auf dieser Basis wurde die Abrechnung erstellt.

Die Instanzgerichte waren der Meinung, dass diese Form der Abrechnung unzulässig ist. Der BGH ist anderer Ansicht. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

1. Voraussetzung der Schätzung

Nach § 9a HeizkostenV kann der Wärmeverbrauch geschätzt werden, wenn er "wegen Geräteausfalls oder aus anderen zwingenden Gründen" nicht ordnungsgemäß erfasst werden kann. Dabei ist streitig, ob ein zwingender Grund im Sinne dieser Vorschrift auch dann gegeben ist, wenn eine korrekte Verbrauchserfassung wegen eines Ablesefehlers oder wegen einer versehentlich unterbliebenen Ablesung nicht möglich ist (so Lammel in: Schmidt-Futterer § 9a HeizKostV) oder ob die Vorschrift nur angewendet werden kann, wenn die Erfassung aus Gründen unterbleibt, die weder der Vermieter noch das Ableseunternehmen zu vertreten hat (so LG Hamburg, WuM 2001, 460). Der BGH folgt der erstgenannten Ansicht. Ein zwingender Grund i. S. v. § 9a HeizkostenV liegt immer dann vor, wenn eine Abrechnung auf der Grundlage einer korrekten Ablesung objektiv ausscheidet. Auf ein Verschulden kommt es nicht an.

2. Schätzmethode

In § 9a HeizkostenV sind zwei Schätzmethoden vorgesehen, nämlich das individuelle Ersatzverfahren und das generelle Vergleichsverfahren.

Beim individuellen Ersatzverfahren wird der Verbrauch unter Rückgriff auf den Verbrauch in früheren Abrechnungszeiträumen geschätzt. Beim generellen Vergleichsverfahren kommt es auf den Verbrauch vergleichbarer anderer Räume im Abrechnungszeitraum an. Eine Schätzung nach der Gradtagszahlmethode ist in § 9a HeizkostenV nicht vorgesehen. Die Gradtagszahlmethode soll nach § 9b HeizkostenV nur im Fall eines Nutzerwechsels während des Abrechnungszeitraums stattfinden.

Der BGH erachtet die Anwendung der Gradtagszahlmethode im Rahmen des § 9a HeizkostenV dann für zulässig, wenn die für eine Vergleichsberechnung erforderlichen Daten nicht zur Verfügung stehen. So lagen die Dinge hier: Es handelte sich um eine Erstvermietung in einem Neubau.

3. Kürzungsrecht

Schließlich stellt sich die Frage, ob der Mieter die Heizkosten in Fällen dieser Art gem. § 12 HeizkostenV kürzen kann. Das Kürzungsrecht setzt voraus, dass die Heizkosten "nicht verbrauchsabhängig abgerechnet werden". Der BGH führt hierzu aus, dass dieses Tatbestandsmerkmal nur vorliegt, wenn die Abrechnung "nicht den einschlägigen Bestimmungen der Heizkostenverordnung entspricht". Eine Abrechnung nach den §§ 9a und 9b der HeizkostenV stehe mit der Verordnung im Einklang. Ein Kürzungsrecht besteht in diesen Fällen nicht.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 16.11.2005, VIII ZR 373/04, WuM 2005, 776 = GE 2006, 48

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