Entscheidungsstichwort (Thema)
Tischgebet im kommunalen Kindergarten. Religionsfreiheit (positive u. negative). praktische Konkordanz. staatliches Neutralitätsgebot. Kindergarten- und Heimrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Die vom Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 16. Oktober 1979 „Schulgebet”; BVerfGE 52, 223) und vom 16. Mai 1995 „Kruzifix”, BVerfGE 93, 1) entwickelten Grundsätze zur positiven und zur negativen Religionsfreiheit im schulischen Rahmen gelten erst recht im Bereich des freiwilligen Kindergartenbesuchs.
2. Dementsprechend verstößt ein in einem kommunalen Kindergarten gesprochenes Tischgebet grundsätzlich nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot.
3. Auch bei freiwilligen staatlichen Veranstaltungen ist aber der negativen Bekenntnisfreiheit dadurch
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2; KiGaG § 1 Abs. 2, § 2; SGB VIII § 24
Verfahrensgang
VG Gießen (Beschluss vom 31.01.2003; Aktenzeichen 4 G 4715/02 (3)) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 31. Januar 2003 – 4 G 4715/02 – wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den eingangs genannten Beschluss ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller zu 2. und seine Ehefrau den Antragsteller zu 1. am 21.05.2003 mit sofortiger Wirkung vom Besuch des Kindergartens „…” in … abgemeldet haben, ein Rechtsschutzbedürfnis weiterhin zu bejahen. Dies ergibt sich aus den zusätzlichen Erklärungen der Antragsteller im Schriftsatz vom 20.06.2003, in dem dargelegt wird, dass der Antragsteller zu 1. doch noch nicht mit Beginn des neuen Schuljahres in die Grundschule eintreten wird. Er wolle vielmehr nach Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens weiterhin den genannten Kindergarten besuchen. Bei dieser Sachlage kann von einer Erledigung des Eilverfahrens nicht ausgegangen werden.
Ob darüber hinaus der Einwand der Antragsgegnerin durchgreift, die gestellten Anträge seien nicht hinreichend bestimmt, so kann dies dahingestellt bleiben, denn die Beschwerde musste jedenfalls in der Sache ohne Erfolg bleiben.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, der Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach der Intention des gestellten Antrags aufzugeben, das Sprechen eines Tischgebetes vor dem Frühstück im Kindergarten „…” zu unterbinden, weil die Antragsteller durch ein solches Gebet nicht in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 4 Abs. 1 GG verletzt seien.
Das Beschwerdevorbringen der Antragsteller ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Soweit die Beschwerdeführer mit Bezug auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 1999 (BVerwGE 109, 40) beanstanden, das Verwaltungsgericht habe die Reichweite des staatlichen Neutralitätsgebots im Hinblick auf die zur Verfügungstellung eines religiösen Betätigungsraumes verkannt, so greifen die hierzu angeführten Argumente nicht durch.
Die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich vielmehr als Fortsetzung der vom Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 16. Oktober 1979 (BVerfGE 52, 223 ff.; „Schulgebet”) und vom 16. Mai 1995 (BVerfGE 93, 1 ff.; „Kruzifix”) entwickelten Rechtsprechung dar. In der sogenannten Schulgebetsentscheidung wird ausdrücklich dargelegt, die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schulen sei nicht schlechthin verboten, auch wenn eine Minderheit der Erziehungsberechtigten, die bei der Erziehung ihrer Kinder dieser Schule nicht ausweichen könnten, keine religiöse Erziehung wünschten (BVerfGE, a.a.O., S. 237). Ausgehend davon, dass somit religiöse Bezüge in öffentlichen Pflichtschulen nicht unzulässig sind, wird die Abhaltung eines Schulgebetes daher gebilligt, soweit es auf der Basis völliger Freiwilligkeit erfolgt (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 239).
Nichts anderes ergibt sich auch aus der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995, der sogenannten „Kruzifix-Entscheidung”. Auch in diesem Beschluss betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung von öffentlichen Schulen nicht schlechthin verboten sei und dass grundsätzlich kein Recht darauf bestehe, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 23 und S. 16). Im Gegensatz zu der erstgenannten Entscheidung, bei der das Schulgebet nicht auf der Grundlage von staatlichen Anordnungen abgehalten wurde, schrieb aber in dem zweitgenannten Verfahren die Schulordnung für die Volksschulen in Bayern die Anbringu...