Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlvorstand und Übergabe von Beschäftigtenlisten. Geltung eines Zuordnungstarifvertrages. Verkennung des Betriebsbegriffs als Anfechtungsgrund
Leitsatz (redaktionell)
Der Wahlvorstand hat einen Anspruch auf Übergabe von Beschäftigtenlisten.
Normenkette
BetrVG § 19; ZPO § 940; WO § 2 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 24.03.2014; Aktenzeichen 12 BVGa 152/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. März 2014 - 12 BVGa 152/14 - teilweise abgeändert:
Der Beteiligten zu 3) wird aufgegeben, eine Liste aller nicht fliegenden Beschäftigten der Beteiligten zu 3), die ihren ständigen Arbeitsort in A haben, mit Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und Eintrittsdatum in den Betrieb zu erstellen und dem Beteiligten zu 1) zu übergeben.
Der Beteiligten zu 3) wird weiterhin aufgegeben, dem Beteiligten zu 1) die Privatanschriften derjenigen nicht fliegenden Beschäftigten der Beteiligten zu 3) bekanntzugeben, die ihren ständigen Arbeitsort in A haben und im Außendienst, mit Telearbeit oder in Heimarbeit beschäftigt werden oder sonst nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses oder aus anderen Gründen zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
Von einer Sachdarstellung wird gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525 ZPO, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen, da gegen diesen Beschluss unzweifelhaft kein Rechtsmittel gegeben ist.
Die nach den Feststellungen im Protokoll der Anhörung vor dem Beschwerdegericht zulässige, weil form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist hinsichtlich der Abweisung der Hilfsanträge begründet, im Übrigen nicht begründet. Dies ergibt sich zusammengefasst aus folgenden Erwägungen:
Die Beschwerde ist teilweise begründet, weil die Hilfsanträge des Wahlvorstandes begründet sind. Der Wahlvorstand hat gegenüber der Beteiligten zu 3) einen Anspruch auf Herausgabe der Liste mit den in den Hilfsanträgen aufgeführten Beschäftigten der Beteiligten 3) mit ständigem Arbeitsort A.
Zum einen wird bereits die Auffassung vertreten (LAG Hamm Beschluss vom 30. Aug. 2010 - 13 TaBV 8/10 - Juris), der Anspruch des Wahlvorstandes aus § 2 Abs. 2 Satz 1 WO sei selbst bei einer anfechtbaren Wahl zu erfüllen. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass sich schon vor Einleitung der Wahl durch die Vorenthaltung wichtiger Informationen das eigentliche Verfahren verzögern würde und es zu einer mehr oder weniger langen Wahlaussetzung kommt, es sei denn, es ist schon jetzt von der Nichtigkeit der geplanten Wahl auszugehen.
Zum anderen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - EzA § 19 BetrVG 2001 Nr. 8; ebenso Hess. LAG Beschluss vom 27. März 2014 - 9 TaBVGa 38/14 -; Hess. LAG Beschluss vom 20. Febr. 2014 - 9 TaBVGa 19/14 -; Hess. LAG Beschluss vom 20. Febr. 2014 - 9 TaBVGa 11/14 -; LAG Düsseldorf Beschluss vom 13. März 2013 - 9 TaBVGa 5/13 - Juris; LAG Hamm Beschluss vom 6. Sept. 2013 - 7 TaBVGa 7/13 - NZA-RR 2013, 637 = Juris; LAG Hamm Beschluss vom 19. März 2012 - 10 TaBVGa 5/12 - AiB 2013, 718 = Juris), durch welche die noch bei den turnusmäßigen Betriebsratswahlen 2010 streitige Frage höchstrichterlich entschieden ist und von der abzuweichen der Streitfall keine Veranlassung bietet, ein Wahlabbruch nur bei voraussichtlicher Nichtigkeit der Wahl in Betracht. Eine voraussichtlich mit Sicherheit erfolgreiche Wahlanfechtung reicht hierfür nicht mehr aus. Ihre entgegenstehende frühere Rechtsprechung gibt die Kammer auf. Das gilt auch für einen korrigierenden Eingriff in das Wahlverfahren (LAG Hamm Beschluss vom 19. März 2012 - 10 TaBVGa 5/12 - Juris) oder beispielsweise bei einem Streit über die Wirksamkeit der Bestellung eines Wahlvorstandes (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - NZA 2012, 345 = Juris; LAG Hamm Beschluss vom 6. Sept. 2013 - 7 TaBVGa 7/13 - NZA-RR 2013,637 = Juris) und muss folgerichtig auch für die Frage der Herausgabe der Wählerliste gelten, denn wenn diese nicht herausgegeben würde, wäre eine Wahl in der Wahlregion Mitte nicht oder nur erschwert möglich.
Die Verkennung des Betriebsbegriffs ist grundsätzlich nur ein Anfechtungsgrund (BAG Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - NZA 2012, 345 = Juris). Die Einschätzung des Wahlvorstandes im Hinblick auf die fortbestehende Wahlregion Mitte wäre dann nicht vertretbar, wenn ein offensichtlicher Missbrauch oder eine willkürliche Verkennung der Betriebsstrukturen gegeben ist (vgl. LAG Düsseldorf Beschluss vom 13. März 2013 - 9 TaBVGa 5/13 - Juris).
Der Wahlvorstand ist nicht missbräuchlich oder willkürlich vom Fortbestand der Wahlregion Mitte ausgegangen. Der Tarifvertrag 2010 ist ein Zuordnungstarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Nach § 2 Abs. 1 werden die Betriebe und Betriebsstätten der in § 1 bezeichneten Unternehmen als Wahlregionen zusammengefasst, die sich aus Anlage 1 ergeben. Nach § 2...