Entscheidungsstichwort (Thema)

Inkongruente Deckung gemäß § 131 InsO durch Befriedigung in der Zwangsvollstreckung

 

Leitsatz (amtlich)

Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 23. März 2006 – IX ZR 116/03 – NJW 2006, 1870) ist eine während der „kritischen” Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen

(Rechtsbeschwerde zugelassen).

 

Normenkette

InsO § 131 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 143 Abs. 1 S. 1; KO § 30 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Beschluss vom 24.02.2009; Aktenzeichen 5 BV 909/08)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 31.08.2010; Aktenzeichen 3 ABR 139/09)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2009 – 5 BV 909/08 – abgeändert.

Der Beteiligte zu 2) wird verurteilt, an den Beteiligten zu 1) EUR 563,53 (in Worten: Fünfhundertdreiundsechzig und 53/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02. August 2007 zu zahlen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) (nachfolgend „lnsolvenzverwalter”) nimmt den Beteiligten zu 2) (nachfolgend „Anfechtungsgegner”) in seiner Eigenschaft als lnsolvenzverwalter nach den Vorschriften der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr einer Zahlung in Anspruch.

Bei der späteren Insolvenzschuldnerin bestand ein Betriebsrat. Im September 2005 nahm einer ihrer Arbeitnehmer in seiner Eigenschaft als Betriebsratsmitglied an einer Schulung des Anfechtungsgegners teil. Der dadurch entstandene Anspruch auf Freistellung von den Schulungskosten aus § 40 Abs. 1 BetrVG wurde an den Anfechtungsgegner abgetreten und letztlich im Wege der Zwangsvollstreckung gegenüber der späteren Insolvenzschuldnerin durchgesetzt. Nachdem sich diese weigerte, auch die Rechtsanwaltskosten zu tragen, die durch die gerichtliche Durchsetzung des Freistellungsanspruches entstanden waren, wurde insoweit ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren durchgeführt, durch das die spätere lnsolvenzschuldnerin zur Kostentragung verpflichtet wurde. Der Anfechtungsgegner erwirkte sodann im März bzw. April 2007 den Erlass eines vorläufigen Zahlungsverbotes sowie eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Hierauf zahlte die Drittschuldnerin, die A AG, am 12. April 2007 EUR 563,53 an den Bevollmächtigten des Anfechtungsgegners (Bl. 9 d. A.). Am 9. Mai 2007 wurde bei dem Amtsgericht Erfurt Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der späteren lnsolvenzschuldnerin gestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichtes Erfurt vom 1. August 2007 wurde über das Vermögen der lnsolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet (BI. 7 d. A.). Mit Schreiben vom 27. Dezember 2007 machte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Anfechtungsgegner die lnsolvenzanfechtung geltend.

Der Insolvenzverwalter ist der Ansicht gewesen, ihm stehe gegenüber dem Anfechtungsgegner ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von EUR 563,53 nebst Zinsen aus §§ 143 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 lnsO zu, da der Anfechtungsgegner in der Krise der späteren lnsolvenzschuldnerin durch das Pfändungspfandrecht und die nachfolgende Zahlung der Drittschuldnerin eine inkongruente Sicherung bzw. Befriedigung erlangt habe. Diese Zahlung, die auf Grund einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme erfolgt sei, habe das Aktivvermögen der späteren Insolvenzschuldnerin gemindert und dadurch zu einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 lnsO geführt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei die innerhalb der Dreimonatsfrist vor Insolvenzantragstellung durch Zwangsvollstreckung erwirkte Deckung als inkongruente Deckung anzusehen. Denn das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip gem. § 804 Abs. 3 ZPO werde durch das lnsolvenzrecht dergestalt eingeschränkt, dass in der Insolvenz der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger gelte. Daher bestehe auch der Zweck des § 113 lnsO darin, den Grundsatz des Vorrangs des schnellen Gläubigers während der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag durch den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger zu ersetzen. Infolgedessen solle nach Eintritt der Krise eine Ungleichbehandlung nicht mehr durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel insolvenzfest erzwungen werden können. Die lnkongruenz von Vollstreckungsmaßnahmen innerhalb der kritischen Zeit sei von dem Gesetzgeber bei Schaffung der Insolvenzordnung erkennbar gebilligt worden. Infolgedessen beinhalte die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes weder einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung noch gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Selbst wenn das Pfändungspfandrecht im vorliegenden Fall innerhalb des zweiten Monats vor der Antragstellung auf Insolvenzeröffnung entstanden sein sollte, stünde dem lnsolvenzverwalter ein Anfechtungsrecht aus § 131 Abs. 1 Nr. 2 lnsO zu, da die spätere lnsolvenzschuldnerin auf Grund einer Unterdeckung von 81,29 % spätestens seit dem 30. Novem...

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