Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung der Beiträge für das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe bei Schwarzarbeit
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Arbeitgeber Schwarzarbeiter eingesetzt, so ist der beitragspflichtige Bruttolohn nicht durch Hochrechnung von Nettolöhnen zu ermitteln. Vielmehr ist der geschuldete Mindestlohn zu schätzen, ohne dass eine Nettolohnabrede fingiert werden darf.
Normenkette
ArbGG § 98 Abs. 6; SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2; ZPO § 287 Abs. 2; VTV-Bau
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 04.12.2012; Aktenzeichen 1 Ca 1412/11) |
Tenor
Der Rechtsstreit wird nach § 98 Abs. 6 ArbGG n.F. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Beschlussverfahren Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - 1 BVAVE 5001/14 - über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) vom 15. Mai 2008 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 104 am 15. Juli 2008) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 05. Dezember 2007 (VTV) ausgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren darüber, ob die Beklagte in bestimmten Monaten der Jahre 2008 und 2009 weitere Beiträge an die Sozialkassen des Baugewerbes zahlen muss, weil sie Arbeitnehmer “schwarz„ oder als Scheinselbständige beschäftigte.
Weitere Forderungen der Beklagten für die Zeitspanne von März bis Mai 2007, welche noch Gegenstand des Rechtsstreits in erster Instanz waren und die ebenfalls auf Schwarzarbeit gestützt werden, sind abgetrennt und in das Verfahren mit dem Az. 18 Sa 1377/14 überführt worden.
Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Er hat nach den für allgemeinverbindlich erklärten tarifvertraglichen Regelungen des Baugewerbes (Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe - BRTV -, Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe - VTV -) insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tarifvertraglich vorgesehenen Urlaubsvergütung zu sichern. Zu diesem Zweck haben die den Bautarifverträgen unterfallenden Arbeitgeber monatliche Beiträge in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Bruttolohnsumme der beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Pauschalbeträge für Angestellte an den Kläger zu zahlen. Seit 01. Januar 2010 ist der Kläger nach § 3 Abs. 3 VTV die zuständige Einzugsstelle für die eigenen Beiträge einschließlich der Nebenforderungen und diejenigen der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK-Bau).
Die Beklagte hat ihren Sitz in A und führt, unterstützt durch ihren Ehemann, einen Stahlbiege- und Flechtbetrieb, mit dem sie Armierungsarbeiten erbringt. Sie hat gegenüber der ZVK-Bau Arbeitnehmer gemeldet und Beiträge entrichtet.
Auf der Grundlage des in den Jahren 2008 und 2009 geltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 in der Fassung vom 05. Dezember 2007 (VTV) fordert der Kläger von der Beklagten Beiträge für die Tätigkeit der bulgarischen Eisenflechter, da diese nur zum Schein selbständig gewesen seien, und Beiträge wegen Schwarzarbeit, da der Zoll Abdeckrechnungen für Schwarzgeldzahlungen vorgefunden habe.
In Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren des Hauptzollamts (HZA) A wurden am 30. März 2009 die Wohnung der Beklagten untersucht sowie die Wohnung von Bulgaren, die für die Beklagte als jeweils selbständige Eisenflechter arbeiteten.
Von Februar 2008 bis Februar 2009 hatte die Beklagte im gesamten Zeitraum oder Teilen davon die bulgarischen Staatsangehörigen mit Eisenflecht- und Armierungsarbeiten beauftragt. Diese hatten jeweils ein Gewerbe angemeldet und besaßen eine eigene Steuernummer. Die Leistungen der Subunternehmer rechneten diese nach Stunden, nicht nach Tonnagen ab. Es existierten keine schriftlichen Verträge über die Beauftragung der Subunternehmer.
Die Rechnungen über diese Leistungen wurden durch den Zoll nur in der gemeinsamen Wohnung der Beklagten und ihres Ehemannes vorgefunden. Alle Rechnungen hatten ein identisches Layout. Ebenso entdeckte der Zoll in der Wohnung der Beklagten Schreiben des Finanzamts und der Handwerkskammer in Bezug auf die Gewerbe der Subunternehmer, sowie deren Anmeldungen bei dem Einwohnermeldeamt, deren Bankunterlagen und Mietverträge. Die bulgarischen Subunternehmer wohnten überwiegend unter derselben Adresse. In deren Unterkünften fand der Zoll keinerlei Geschäftsunterlagen, es existierte keine Büroausstattung.
Die Subunternehmer fuhren jeweils gemeinsam mit einem Fahrzeug der Beklagten zur Baustelle, wofür sie keine Gegenleistung zu entrichten hatten. Sie verarbeiteten von der Beklagten gestelltes Material. Die Subunternehmer, die kaum oder nur wenig Deutsch sprechen, beschäftigten selbst keine Arbeitnehmer und traten nicht werbend am Markt auf.
Der Zoll hat bei der Beklagten u.a. an sie gestellte Rechnungen der Firmen B, C und D überprüft. Diese wurden als Abdeckrechnungen für von Arbeitnehmern “schwarz„ erbrachte Arbeitsleistungen eingeschätzt...