Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Vollstreckbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein aufgrund des § 9 Absatz I KSchG ergehendes Urteil beinhaltet sowohl eine Feststellung als auch eine Gestaltung und die Verurteilung zu einer Leistung. Für Leistungsurteile gilt § 62 Absatz 1 ArbGG uneingeschränkt und unabhängig davon, auf welche Leistung im Urteil erkannt worden ist. Daraus folgt, daß auch die Verurteilung eines Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung nach § 9 Absatz 1 KSchG vorläufig vollstreckbar ist.
Normenkette
ArbGG § 62 Abs. 1; KSchG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Beschluss vom 05.06.1986; Aktenzeichen 6 Ca 113/86) |
Tenor
1.) Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 05. Juni 1986 – 6 Ca 113/86 – aufgehoben.
2.) Der Antrag der Beklagten, im Wege der einstweiligen Anordnung die Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils vom 02. Mai 1986 – 6 Ca 17/86 – einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
Nach dem Gegenstand, auf den sich das Rechtsschutzbegehren eines Klägers jeweils bezieht, unterscheidet man Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen. Dem entsprechen die Urteilstypen des Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsurteils. Für ein Urteil, das aufgrund des § 9 Absatz I KSchG ergeht, ist – abweichend von der normalen Lage – kennzeichnend, daß bei ihm die prozessual möglichen Urteilswirkungen zusammentreffen. In einem solchen Urteil ist zunächst festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung nicht aufgelöst wird (Feststellungswirkung). Ferner muß ein Urteil dieser Art. auf das Arbeitsverhältnis gestaltend einwirken, in dem das Gericht durch seine Entscheidung das Arbeitsverhältnis auflöst (Gestaltungswirkung), Ein darauf gerichtetes Begehren kann auch von der beklagten Partei (d. h, von der Arbeitgeberseite) geltend gemacht werden. Schließlich erfolgt in einem Urteil nach § 9 Absatz I KSchG eine Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung einer angemessenen Abfindung. Insoweit wird ein Zahlungstitel errichtet (Leistungsurteil).
Die Wirklingen von Feststellungs- und Gestaltungsurteilen treten regelmäßig erst mit der Rechtskraft des Urteils ein; derartige Urteile sind grundsätzlich der vorläufigen Vollstreckbareit nicht zugänglich. Es ist umstritten, ob daraus zu folgern ist, daß auch bei Verurteilung zu einer Abfindungszahlung nach § 9 Absatz I KSchG erst vollstreckt werden kann, wenn das Urteil rechtskraftig geworden ist. Hierzu wird die Auffassung vertreten, der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung entstehe erst mit der Rechtskraft des Urteils und könne vorher nicht fällig werden. Ein ausgeurteilter Abfindungsbetrag sei vor der Rechtskraft des Urteils noch nicht existent geworden (vgl. LAG Hamburg in DB 1983, 724; LAG Berlin in DB 1986, 753 f). Dem steht die Ansicht gegenüber, daß der eindeutige Wortlaut und der Zweck des § 62 Absatz I ArbGG für den Abfindungsanspruch nach § 9 Absatz I KSchG eine Abweichung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit nicht zulassen (vgl. LAG Hamm in EB 1975, 1068 f; LAG Bremen in DB 1983, 2315).
Die erkennende Kammer schließt sich der letzterwähnten Ansicht an. Dabei berücksichtigt das Gericht, daß ein aufgrund des § 9 Absatz I KSchG ergehendes Urteil zwar auch ein Gestaltungsurteil ist, daß es sich dabei jedoch nicht um eine ausschließlic gestaltende Entscheidung handelt, sondern eben auch eine Verurteilung zu einer Leistung (Abfindung) erfolgt. Für Leistungsurteile gilt § 62 Absatz I ArbGG aber uneingeschränkt und unabhängig davon, auf welche Leistung das Urteil gerichtet ist. Daher ist auch die Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung nach § 9 Absatz I KSchG vorläufig vollstreckbar (wie hier: Grunsky, Kommentar zum ArbGG, 4. Auflage, S. 314, Anmerkung 1 zu § 62).
Die Einstellungs-Voraussetzungen des § 62 Absatz I ArbGG sind im vorliegenden Falle jedoch nicht zu bejahen, so daß der sofortigen Beschwerde des Beklagten stattzugeben war.
Da der Beschwerde stattgegeben wurde, werden Gerichts gebühren für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Ein weiteres Rechtsmittel findet gegen diesen Beschwerdebeschluß nicht statt (§ 78 ArbGG).
Unterschriften
gez. Dr. Müller, gez. Faßbinder, gez. Bay
Fundstellen
Haufe-Index 968662 |
BB 1987, 552 |