Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung. Unterlassung einer Betriebsänderung. Eilbedürftigkeit. Befristung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine auf die Unterlassung der Durchführung einer Betriebsänderung durch den Arbeitgeber bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens nach §§ 111, 112 BetrVG gerichtete einstweilige Verfügung ist regelmäßig nur befristet zu erlassen. Die Dauer der Frist ist an der Zeitspanne zu orientieren, die nach dem Stand und dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen der Betriebsparteien voraussichtlich bei zügigem Vorgehen für den Abschluss des Beteiligungsverfahrens erforderlich sein wird. Für eine weitergehende Regelung fehlt der Verfügungsgrund.

2. Eine derartige Unterlassungsverfügung kann zu einem Zeitpunkt nicht mehr erlassen werden, zu dem das Beteiligungsverfahren einschließlich der Verhandlungen in einer Einigungsstelle über den Abschluss eines Interessenausgleichs bereits hätte abgeschlossen sein können, wenn der Betriebsrat sein Recht zur Anrufung der Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG unverzüglich ausgeübt hätte und erforderlichenfalls durch die Einleitung eines Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG hätte durchsetzen können.

 

Normenkette

BerVG §§ 111-112; ArbGG §§ 85, 98; ZPO § 940

 

Verfahrensgang

ArbG Darmstadt (Beschluss vom 24.08.2010; Aktenzeichen 4 BVGa 22/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 24. August 2010 – 4 BVGa 22/10 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über das Vorliegen und die Durchführung einer Betriebsänderung.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist ein Speditionsunternehmen. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in A regelmäßig mehr als zwanzig Arbeitnehmer, die vom antragstellenden Betriebsrat repräsentiert werden. Teil des Betriebes ist ein Sorterband mit bis zu neun Auflagestationen, mit dem die zu verteilenden Pakete erfasst, sortiert und zu den zur Abholung bereit stehenden LKWs transportiert werden. Seit Anfang August 2010 vergab die Arbeitgeberin die Tätigkeiten am Band an einen externen Dienstleister. Der Betriebsrat sieht hierin eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung. Nachdem die Arbeitgeberin Verhandlungen über einen Interessenausgleich ablehnte, da sie die Maßnahme für mitbestimmungsfrei hält, reichte der Betriebsrat am 24. August 2010 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein. Ein Verfahren auf Bestellung einer Einigungsstelle leitete keiner der Beteiligten ein.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 24. August 2010 zurück. Der Betriebsrat legte gegen den am 02. September 2010 zugestellten Beschluss am 08. September 2010 sofortige Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht erneut ohne mündliche Anhörung durch Beschluss vom 12. Oktober 2010 nicht abgeholfen hat. Den zunächst auf den 14. Dezember 2010 anberaumten Beschwerdetermin verlegte die erkennende Kammer auf Antrag des Betriebsrats auf den 18. Januar 2011.

Der Betriebsrat hält an seiner Auffassung fest, dass eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung vorliege und beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 24. August 2010 – 4 BVGa 22/10 – abzuändern und der Beteiligten zu 2) aufzugeben, die Fremdvergabe von Tätigkeiten in der Abteilung Übernahme/Umschlag aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Es kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch besteht. Dem Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung steht jedenfalls entgegen, dass zumindest inzwischen kein Verfügungsgrund mehr vorliegt.

Aufgrund der Verweisung in § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG setzt auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung das Vorliegen eines Verfügungsgrundes voraus. Daher muss eine mit einer einstweiligen Verfügung angestrebte Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller erforderlich sein (§ 940 ZPO). Dies ist regelmäßig dann nicht (mehr) der Fall, wenn der Antragsteller die Möglichkeit hat bzw. hatte, seine Rechtsposition mit Hilfe eines Hauptsacheverfahrens durchzusetzen (vgl. etwa Hess. LAG 22.10.1998 – 15 Ta 577/98 – NZA-RR 1999/606, zu II).

Dies gilt auch für den in der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa LAG Frankfurt/Main 21.09.1982 – 4 TaBV 94/82 – DB 1983/613; 06.04.1993 – 4 TaBV 45/93 – LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 12, zu II 2; Hess. LAG 27.06.2007 – 4 TaBVGa 137/07 – AuR 2008/267, zu III 3 b; 19.01.2010 – 4 TaBVGa 3/10 – LAGE BetrVG 2001 § 111 Nr. 10, zu II) anerkannten Anspruch eines Betriebsrats gegen den Arbeitgeber, die Durchführung einer Betriebsänderung zu unterlassen, solange das Unterrichtungs- und Beteiligungsverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG nicht vollständig abgeschlossen ist. Dieser Anspruch ist kein Selbstzweck, sondern dient der Sicherung des Beteiligungsverfahrens. Daher ist eine derartige einstweilige Verfügung regelmäßig nur befristet zu erlassen. Di...

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