Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Wahl vollständig freizustellender Gesamtbetriebsratsmitglieder

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach dem entsprechend anwendbaren § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

2. § 51 Abs. 1 S. 1 BetrVG enthält insoweit eine Lücke, als dort nicht auf § 38 Abs. 2 BetrVG verwiesen wird. Hätte der Gesetzgeber diese Lücke erkannt, hätte er sie dahingehend geschlossen, dass er § 38 Abs. 2 in den Katalog der Verweisungsnormen des § 51 Abs. 1 BetrVG aufgenommen hätte. Daraus folgt, dass der Gesamtbetriebsrat verpflichtet ist, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen.

 

Normenkette

BetrVG § 19 Abs. 1, § 51 Abs. 1, § 38 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 04.03.2015; Aktenzeichen 17 BV 420/14)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 26.09.2018; Aktenzeichen 7 ABR 77/16)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 - 17 BV 420/14 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

  1. Die Wahl der freigestellten Mitglieder des Gesamtbetriebsrats am 4. Juni 2014 wird für unwirksam erklärt.
  2. Der Gesamtbetriebsrat wird verpflichtet, die Auswahlentscheidung über die vollständige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung dann, wenn mehr als ein Wahlvorschlag vorliegt, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchzuführen.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsteller als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 11, 13 bis 16 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. März 2015 - 17 BV 420/14-wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Auswahlentscheidung im Gesamtbetriebsrat hinsichtlich freigestellter Mitglieder dieses Gremiums.

Beteiligte zu 12 (Arbeitgeber) ist ein Transportunternehmen auf dem Gebiet des Schienenverkehrs. Dort ist ein Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 11) gebildet. Diesem gehören die Antragsteller (Beteiligte zu 2-10) sowie die Beteiligten zu 13-16 als Mitglieder an.

Der Arbeitgeber, handelnd durch die Personalvorständin A, und der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, der Beteiligte zu 13, kamen überein, dass wegen der umfangreichen und vielfältigen Aufgaben und der Größe des Unternehmens 4 Vollfreistellungen erforderlich sind.

Der Gesamtbetriebsrat konstituierte sich am 4. Juni 2014. Zu dieser Sitzung war mit Schreiben vom 21. Mai 2014 (Bl. 15ffd.A.) eingeladen worden. Die Antragsteller reichten vor der Sitzung eine Vorschlagsliste für die freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats ein, auf der die Beteiligten zu 5, 8, 10 und 4 in dieser Reihenfolge aufgelistet waren. Zur Wahl stand eine weitere Vorschlagsliste, die die Namen der Beteiligten zu 13-16 enthielt. Es wurde sodann eine Abstimmung nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl vorgenommen, wobei auf die Liste der Beteiligten zu 13-16 14.257 Stimmen und auf die von den Antragstellern eingereichte Liste 4509 Stimmen entfielen. Daraufhin wurde vom Versammlungsleiter festgestellt, dass die Beteiligten zu 13-16 gewählt sind.

Die Antragsteller haben in ihrer am 17. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift die Auffassung vertreten, die getroffene Auswahlentscheidung hinsichtlich der freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats sei unwirksam, da sie nach den Grundsätzen der Verhältniswahl hätte stattfinden müssen.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I der Gründe (Bl. 120-122 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen teilweise stattgegeben. Die Antragsteller seien antragsbefugt und hätten die zweiwöchige Anfechtungsfrist nach § 19 BetrVG analog eingehalten. Die durchgeführte Wahl der freizustellenden Gesamtbetriebsratsmitglieder sei unwirksam, da sie nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts hätte durchgeführt werden müssen. Zwar verweise § 51 Abs. 1 BetrVG nicht auf § 38 BetrVG. Hieraus folge jedoch nur, dass das Gesetz keine abstrakte Erforderlichkeit für die Freistellung von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats vorsehe. Für den Fall, dass die Betriebsparteien es als notwendig ansehen, eine gewisse Anzahl der Mitglieder des Gesamtbetriebsrats unabhängig vom konkreten Anlass freizustellen, sei § 38 Abs. 2 BetrVG entsprechend anzuwenden. Der weitere Antrag, gerichtet darauf dass die Auswahlentscheidung über die völlige Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern na...

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