Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung eines Beschlussverfahrens betreffend die Anfechtung der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer wegen Zweifeln an der Tariffähigkeit einer antragstellenden Gewerkschaft
Leitsatz (amtlich)
Wird die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer - neben weiteren Antragstellern - auch von einer Gewerkschaft (hier die DHV) angefochten, so ist das Beschlussverfahren gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens zur Feststellung deren Tariffähigkeit auszusetzen, denn von dieser Entscheidung hängt die Frage ab, ob die Gewerkschaft überhaupt antragsbefugt ist. Die Entscheidungserheblichkeit stellt sich bereits bei der Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen, d.h. in der Zulässigkeitsstufe. Fechten mehrere Antragsteller (§ 22 Abs. 2 MitbestG) die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer an, liegt eine auch im Beschlussverfahren zulässige notwendige Streitgenossenschaft vor, denn die Antragsteller verfolgen dasselbe Begehren und über den identischen Antrag kann nur eine einheitliche Sachentscheidung ergehen. Die Entscheidung über die Anfechtungsberechtigung eines Antragstellers kann weder dahingestellt bleiben noch kann eine Abtrennung erfolgen.
Normenkette
MitbestG § 22 Abs. 1; ArbGG § 97 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 10.06.2015; Aktenzeichen 6 BV 335/14) |
Tenor
Das Verfahren wird bis zur Erledigung des beim Bundesarbeitsgericht geführten Beschlussverfahrens - Aktenzeichen 1 ABR 37/16 - gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Beschwerderechtszug allein noch über die Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten und der Vertreter von Gewerkschaften in den Aufsichtsrat der Beteiligten zu 8., einem großen deutschen Reiseveranstalter.
Antragsteller und Beteiligter zu 1. ist der "DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V." (nachfolgend DHV). Die ebenfalls antragstellenden Beteiligten zu 2. bis 5. sind im Konzern der Beteiligten zu 8. beschäftigte Arbeitnehmer.
Im Jahr 2010 wurde zwischen der Beteiligten zu 8. und der zu 16. beteiligten Gewerkschaft ver.di ein Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1 BetrVG (nachfolgend Tarifvertrag 2010) geschlossen, der vorsieht, die einzelnen Betriebe und Betriebsstätten zu Wahlregionen zusammenzufassen. Hierbei wurde der Zusatz bei der Beteiligten zu 8. aufgenommen "vertreten durch den Vorstand und handelnd im eigenen Namen sowie im Namen der unter § 1 aufgeführten Tochtergesellschaften". In § 1 ist geregelt, dass die Unternehmen A GmbH und B GmbH als Flugbetrieb von diesem Tarifvertrag unberührt bleiben mit Ausnahme der nicht fliegenden Beschäftigten, die ihren ständigen Arbeitsort in C haben. Nach Anlage 1 zum Tarifvertrag 2010 gehört zur Wahlregion Mitte (WR M) der "Gemeinschaftsbetrieb am Standort C sowie Service und Vertrieb in den Städten D, E, F, G, H und I". Auf den Tarifvertrag 2010 nebst Anlage 1 und Protokollnotiz wird Bezug genommen. (Bl. 480-488 d.A.).
In Vorbereitung der Aufsichtsratswahl bei der Beteiligten zu 8. im Jahr 2014 wurden ein Hauptwahlvorstand sowie in den jeweiligen Wahlregionen - u.a. J WR Mitte, J WR Süd, J WR Nordwest, J WR Ost, A GmbH FRA, K GmbH, A GmbH BER und B GmbH - Betriebswahlvorstände gebildet.
Im Vorfeld der Wahl fand eine umfassende Wahlwerbung durch die Wahlbewerber statt, bei der es u.a. im Zusammenhang mit der Nutzung des firmeneigenen Mailsystems zu Vorgaben des Hauptwahlvorstands kam; auf das Email- Schreiben des Hauptwahlvorstands vom 7. März 2014 (Bl. 22, 23 d.A.) wird verwiesen.
Im Wahlausschreiben zur Aufsichtsratswahl am 27. März 2014 des Betriebswahlvorstandes A GmbH (Ordner 2 der Wahlunterlagen), ausgehängt am 10. Februar 2014, heißt es auszugsweise:
...
10. Wahlberechtigte, die zum Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben, können beim Betriebswahlvorstand die schriftliche Stimmabgabe beantragen. Wahlberechtigte, von denen dem Betriebswahlvorstand bekannt ist, dass sie zum Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, erhalten die Unterlagen für die schriftliche Stimmabgabe auch ohne besonderen Antrag zugestellt.
Für die nachfolgenden Betriebsteile und Abteilungen hat der Betriebswahlvorstand
die schriftliche Stimmabgabe beschlossen:
Bordpersonal
Bodenpersonal im Schichtdienst (GWG)
Bodenpersonal an allen Standorten außerhalb GWG≫
Wahlberechtigte dieser Betriebsteile und Abteilungen erhalten die Unterlagen für dieschriftliche Stimmabgabe ohne besonderen Antrag zugestellt. Die Wahlbriefe müssen bis zum 27. März 2014, 16:00 Uhr beim Betriebswahlvorstand eingegangensein....
In der Wahlregion A GmbH FRA - GWG - waren 107 Mitarbeiter als Bodenpersonal im Schichtdienst tätig. Gearbeitet wurde im Dreischichtsystem.
In der Hauptverwaltung der Beteiligten zu 8. in C sind neben den Mitarbeitern der Bete...